Organisation der russischen Truppen in der Ukraine, Orbat, Kommandanten, Verluste, Auftrag |
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Organisation der russischen Truppen in der Ukraine, Orbat, Kommandanten, Verluste, Auftrag |
29. Mar 2022, 23:30 | Beitrag
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Feldwebel Beiträge: 461 Gruppe: Members Mitglied seit: 27.03.2022 |
Das ist insgesamt eine sehr gute Fragestellung, die mich schon seit dem Aufmarsch umtreibt, als die ganze Welt anfing BTGs zu zählen und ich mir die Frage stellte: WTF? Wird da falsch gezählt, oder haben die das wirklich vor? Wie stellen die sich das vor, mit BTGs ein Land zu erobern? BTGs sind taktische Formationen mit begrenzter Reichweite und Durchhaltefähigkeit. Wo kommt die zweite Welle? Wo ist der Schwerpunkt? Wie wollen die damit einen Durchbruch erzwingen? Wo sind die operativen mobilen Gruppen für freies Operieren in der Tiefe und Umschließungsoperationen? Führen die die ganzen 150 BTGs alle einzeln? Aus diesen Fragen purzeln schon die ein oder anderen operativ-taktischen Schwierigkeiten, die beim Ansatz von 150 BTG zur Eroberung eines Landes absehbar sind und nach dem was ich so beobachte alle voll zuschlagen. Die schlechte Planung hat mich auch erstaunt. Man hatte jetzt ja jahrelang Zeit. Die Unterstabsabteilung Planung Ukraine hätte längst Zeit gehabt, wirklich detaillierte Planungen für die Eroberung der Ukraine aufzustellen und zwar mit mehreren Varianten. Ich glaube auch nicht, dass dies gemacht wurde, vielleicht aus Geheimhaltungsgründen, aber wenn glaubt, der eigenen Generalstab gebe Infos weiter, dann ist man entweder paranoid oder hat ein echtes Problem. Was mich hier vor allem wundert ist der "Plan B". Okay, Plan A verstehe ich noch halbwegs- Luftlandung westlich von Kiew, schneller Vormarsch von Norden aus, Enthauptungsschlag, der dann einen großflächigen Vormarsch auf Charkiw, Sumy, im Donbas und von der Krim sowohl nach Westen und Osten ermöglicht. "Wir müssen nur die Tür auftreten, und das ganze verrottete Gebäude wird krachend zusammenbrechen", hat ja schon mal einer über die Gegend gesagt. Wir wissen heute, dass der Plan auf zu optimistischen Annahmen beruhte, aber Hand aufs Herz: War er ex ante so unrealistisch? Danke für die vielen interessanten Gedanken, die ich nur sehr fragmentarsich zitiere. Im Grunde muss man mit "ja" antworten. Der russische Generalstab leistet sich mit der GRU einen Militärnachrichtendienst, man musste wissen (und hat es sicher auch gewusst), dass man nicht von mit Blumen winkenden Kindern empfangen wird. Zudem gelten die sowjetischen Generalstabskarten als sehr gut: Die Karte der Marschstraßen und die Karte der Passierbarkeit sollten sich kaum geändert haben: Es musste klar sein, dass NW Kiew ein flutbares Gebiet ist, dass es NW Kiew nur zwei einigermaßen ernsthafte Straßen gibt und dass im Frühjahr die ländliche Ukraine kaum passierbare Matschepampe ist. Und es musste klar sein, dass sich die Motivation der Soldaten in Grenzen hält, wenn man sie zuvor im Winter wochen/monatelang in Zeltlagern kampieren lässt. Die erste Phase war offenbar nach dem bekannten Schema CSSR/68, Afghanistan, Prizdina angelegt: Nimm mit SpezNas einen Flugplatz ein, lande eine Division Luftlandetruppen dort an und nimm die Kommandozentren der Hauptstadt. Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob Hostomel das geplante Ziel war. Ich halte es für möglich, dass der eigentlich geplante Platz Boryspil war - da aber was dazwischen kam: Als die russische Seite das NOTAM mit der Luftraumsperre herausgab, waren zwei türkische A400M schon im ukrainischen Luftraum, sie landeten dann in Boryspil. Da steht man nun als Leiter Lage im russischen Generalstab und guckt blöd - sind da vielleicht türkische Elitesoldaten drin? Und das sind ja NATO-Maschinen! Das eigene Überraschungsmoment sollte jetzt eigentlich nicht zu DEFCON-1 führen ... Umplanung auf Hostomel, man kann die angelaufene Maschinerie ja nicht einfach so anhalten ... ok, das ist spekulativ, würde aber schon einiges erklären. Zumindest musste der GRU wissen, dass die hohen ukrainischen Dienstgrade (die kommen ja aus dem gleichen sowjetischen Stall!) das Modell kennen - und sich entsprechend vorbereitet haben. Falls nun eine Detailplanung für Hostomel gar nicht möglich war, würde das zusätzlich begründen, warum die russischen SpezNas so erstaunlich schnell auf Hostomel aufgerieben wurden. Aber egal wie - weiter: Bei einer faktisch kampflosen Einnahme der Kommandopunkte und Fernsehsender Kiews durch die dort anzulandenden Luftsturmeinheiten war der nächste logische Schritt: Massen an Truppen nach Kiew. Da aber nichts eingenommen wurde - wieso schickt man diese gigantische angeblich 63km lange Kolonne trotzdem los, anfangs sogar ohne Truppenluftabwehr? Mir kann doch niemand erzählen, dass im russischen Generalstab nur Trottel rumsitzen, das glaube ich nicht. Zu diesem Zeitpunkt wäre es übrigens noch möglich gewesen, die nördliche Offensive zu stoppen und den offiziellen politischen Plan "nur 'Volksrepubliken und etwas mehr' befreien" umzusetzen. Womit ich bei diesen verstärkten Bataillonen bin, nichts anderes sind doch diese BKG. Also die führt der Bataillonskommandeur, vermutlich von einem SPz mit Funk aus. Ob die das inzwischen können weiß ich nicht - jedenfalls war das in sowjetischer Zeit nicht im Handlungsschema, da herrschte Befehlstaktik vor. Faktisch reden wir da von (bis 1990) sst. Bataillonen. Und wie gesagt ist mir völlig unklar, wer überhaupt die BTG übergeordnet führt. Wenn man nun als alleinige strategische Aufgabe die Einnahme dieser 'Volksrepubliken' im Sinne der eigentlichen Rajonsgrenzen annehmen will: Da könnte es gerade so funktionieren, wäre aber auch grenzwertig. Denn was die meisten immer wieder übersehen: Die Ukraine ist riesig. Selbst bei dieser scheinbar kleinen strategischen Aufgabe reden wir über eine Frontlänge von etwa 300km, das ist ja die Breite der DDR! An dieser Stelle ganz kurz zu "Plan B": Viel ist da nicht mit Plan B, jedenfalls nicht auf der strategischen Ebene: Wegen der riesigen Entfernungen (und der verfügbaren Marschstraßen) ist es unmöglich, größere Umgruppierungen auf weißrussischem und russischen Gebiet vorzunehmen. Ich komme -spekulativ- momentan zu einer anderen Schlussfolgerung, ich muss ganz kurz ausholen: Ich weiß nicht, wer "Suworow: GRU" gelesen hat, das schrieb in den 70er Jahren ein GRU-Überläufer. Der beschreibt die Machtbalance in Russland, ist ein Lesetipp. Zur Sache: Das Militärs für alle möglichen und unmöglichen Aufgaben vorab planen, halte ich für selbstverständlich. Nun sagt irgendwann Herr Putin: Das wird jetzt akut, bereitet euch vor, langsam Ausgangsstellungen beziehen!" - Der Generalstab sagt "Zu Befehl" und plant vor sich hin. Irgendwann kommt die Stunde der planerischen Wahrheit, man muss zu Herrn Putin: Cheffe, als Übung ok, für Ernstfall nicht machbar. Und nun prallen zwei Machtblöcke aufeinander. Und in diesem gedanklichen Szenario wird auch die öffentliche Sitzung des Sicherheitsrats sowie die "Beratung" Putins mit Verteidigungsminister und Generalstabsschef klarer: Putin zwang sie zu einem persönlichen Bekenntnis zu seiner Person. Wenn ich das alles nun auf die Theorie der drei Machtblöcke in Russland zurückführe, würde das ganz praktisch heißen, dass der russische Generalstab Dienst nach Vorschrift macht, gerade so, dass da nicht dutzende Generale vor dem Erschießungskommando landen - und Putin politisch ins offene Messer laufen lassen. Tragischerweise mit vielen, völlig unnötigen Toten. Etwas tröstliches habe ich mir für den Abschluss aufgehoben: Herr Putin sitzt ja immer an ganz langen Tischen mit viel Abstand. Er hat wohl Angst, sich mit Corona anzustecken. Das heißt ganz praktisch, dass er an seinem Leben hängt. Und das ist eine sehr gute Nachricht für diese wunderschöne Welt. Während ich den obigen Text schrieb, gab es weitere Beiträge, dazu nur kurz: Ich bin ja immer wieder erstaunt, bei wem sich so alles der BND mit seinen Erkenntnissen meldet - bei mir meldet er sich nicht. Aber man kann wohl davon ausgehen, dass er mal mindestens das wusste, was ich wusste: Wochenlang flog eine amerikanische Aufklärungsdrohne mit aktivem Transponder über der Ukraine, wochenlang warnten die USA. Tage vor dem Okkupationsversuch lief die komplette russische Flotte aus sämtlichen Häfen aus - spätestens jetzt war klar: Es wird heiß. Am Abend vor dem Angriff erklärte die russische Seite per NOTAM einen duchaus großen Streifen eigenen Landes zur Ukraine zur Flugverbotszone - da war klar, dass es nicht aufzuhalten ist. Der Beitrag wurde von Mart bearbeitet: 29. Mar 2022, 23:42 -------------------- Kein Mensch ist so wichtig wie er sich nimmt. (Immanuel Kant; Königsberg, heute Kaliningrad)
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