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> Unternehmen Blau
400plus
Beitrag 8. Sep 2017, 21:10 | Beitrag #1
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Ich lese gerade ein wenig durch verschiedene Bände von "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" und bin heute über das gestolpert. Bernd Wegner schreibt zu Beginn von Band 8 (S.7f) über die Rolle Stalingrads als Wendepunkt des Krieges:

"Von Stalingrad als einer Kriegswende ganz allgemein und uneingeschränkt zu sprechen, ist [...] irreführend. Anders steht es mit der Frage, ob die Vernichtung der 6. Armee eine Wende des Krieges im Osten markierte. Dort zumindest war die Wehrmacht einer Entscheidung von strategischer Bedeutung zweimal nahe gewesen. Sowohl im Herbst 1941 vor Moskau als auch im folgenden Sommer am Südabschnitt der Front hatte ein Zusammenbruch der sowjetischen Verteidigung, wenn nicht gar des stalinistischen Regimes im Bereich des Möglichen gewesen. [...] Der Fähigkeit, vergleichbare Entscheidungssituationen noch einmal zu erzwingen, war das deutsche Ostheer mit der Niederlage an der Volga endgültig verlustig gegangen. [...]
Insofern stellten die Stalingrader Ereignisse den Schlußpunkt eines Prozesses schrittweise abnehmender Siegesoptionen im Osten dar. Die wesentlichen Stationen dieses Prozesses waren die Schlacht von Smolensk im Juli 1941 und der aus ihr resultierende Halt des deutschen Vormarsches, das Scheitern vor Moskau im Dezember desselben Jahres, die zu Recht als "ökonomisches Stalingrad" bezeichnete Ostverlagerung großer Teile der sowjetischen Industrie sowie Hitlers Entscheidung zur Aufspaltung der Operation "Blau" im Juli 1942. Nach jedem dieser Ereignisse waren die Grundlagen eines deutschen Sieges im Osten brüchiger, die Zahl der Optionen geringer geworden."

(kursive Hervorhebungen im Original, fett durch mich)

Was mich wundert, ist dass ausgerechnet die Aufteilung der Offensive "Blau" als wichtiger Wegpunkt auf dem Weg zur endgültigen Niederlage im Osten angesehen wird. Hierbei geht es ja darum, dass der ursprünglich sequentielle Plan "HG Süd erst bis auf Artilleriereichweite an Stalingrad und die Wolga, dann in den Kaukasus" zu "HG B sofort nach Stalingrad, HG A sofort in den Kaukasus" wurde.
Unbestritten ist, dass die resultierende Zersplitterung maßgeblich zur Niederlage bei Stalingrad und der Beinahe-Katastrophe auf dem Südflügel im Januar/Februar 1943 beigetragen hat. Mir scheint aber, dass auch ohne eine Aufsplitterung das Grundproblem des deutschen Südflügels weiterbestanden hätte, nämlich die zu schwach geschützte Nordflanke.
Selbst bei bester Durchführung des ursprünglichen Plans hätten deutsche Truppen bis kurz vor Stalingrad marschieren müssen, um dieses in Artilleriereichweite zu bringen. Danach wäre ein großer Teil dieser Truppen in den Kaukasus verlegt worden- die deutsche Front hätte also fast die gleiche Länge gehabt, die sie auch zu Beginn von Unternehmen Uranus hatte, einziger Vorteil wäre vielleicht gewesen, dass nicht mehrere deutsche Divisionen in den Kämpfen um Stalingrad selbst gebunden gewesen wären, und mit einem größeren Kräfteansatz zu Beginn von Blau III hätte vielleicht der ganze Don als Nordflanke gewonnen werden können.
Insgesamt scheint aber auch ein sequentielles Ablaufen von Blau III und Blau IV zu ähnlichen Problemen, allenfalls in etwas milderer Form geführt zu haben. Oder verpasse ich etwas? Wegner verweist an dieser Stelle nicht auf weitere Literatur, vielleicht kennt sich jemand von euch zu diesem Thema besser aus?
 
Seydlitz
Beitrag 8. Sep 2017, 21:29 | Beitrag #2
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Ich denke, es kommt bei jeder Betrachtungsweise auf den Standpunkt des Beobachters an.
Die Aufteilung der Sommeroffensive 1942 als einen entscheidenden Punkt zu betrachten, ist aus meiner Sicht zumindest ungewöhnlich. Es gibt Ansätze, die bereits den Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion als unvermeidliche Niederlage bezeichnen, dass Scheitern der Offensive vor Moskau (Operation Taifun) ist ebenfalls häufig genannt, Stalingrad natürlich, und allerspätestens die Niederlage von Kursk 1943, wobei das aus meiner Sicht schon äußerst optimistisch ist.

Die deutsche Sommeroffensive im Südabschnitt trägt schon einige interessante Aspekte in sich. Zunächst einmal, dass die Wehrmacht schlicht und einfach nicht mehr in der Lage war, an der gesamten Ostfront Offensiv zu werden. Das Kräfteverhältnis hatte sich bereits deutlich verschoben. Ein (entscheidender?) Sieg allein im Südabschnitt wäre aus meiner Sicht selbst bei erreichen aller Ziele immer noch Wunschdenken gewesen. Das Problem der relativ langen und schwach besetzten Nordflanke hätte sich quasi zwangsläufig ergeben.
Auch muss man berücksichtigen, dass die Wehrmacht bei ihrem Vormarsch vergleichsweise wenig sowjetische Kräfte einkesseln konnte, gerade im Vergleich zum Jahr 1941. Sprich die sowjetische Taktik hatte sich bereits geändert/angepasst, Raum aufgeben, Kräfte schonen.
Mir ist nicht ersichtlich, was die Aufspaltung jetzt irgendwie besonders macht.


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400plus
Beitrag 8. Sep 2017, 21:38 | Beitrag #3
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ZITAT(Seydlitz @ 8. Sep 2017, 22:29) *
Die Aufteilung der Sommeroffensive 1942 als einen entscheidenden Punkt zu betrachten, ist aus meiner Sicht zumindest ungewöhnlich. Es gibt Ansätze, die bereits den Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion als unvermeidliche Niederlage bezeichnen, dass Scheitern der Offensive vor Moskau (Operation Taifun) ist ebenfalls häufig genannt, Stalingrad natürlich, und allerspätestens die Niederlage von Kursk 1943, wobei das aus meiner Sicht schon äußerst optimistisch ist.


Ja, die grundsätzliche Argumentation Wegners finde ich hier schlüssig, das Ganze als ein sich mehr und mehr schließendes Fenster mit Aussicht auf einen Erfolg zumindest im Osten anzusehen, und die von ihm genannten Stationen 1941 klingen auch plausibel. Ich sehe auch, dass die Aufteilung ein operativer Fehler war, aber ich sehe nicht wirklich, wie sich die Situation der deutschen Wehrmacht im November 1942 maßgeblich gebessert hätte, wenn man beim sequentiellen Ablauf geblieben wäre.
 
Seydlitz
Beitrag 8. Sep 2017, 21:53 | Beitrag #4
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Die grundsätzliche Argumentation ist ja auch schlüssig, nachvollziehbar und im Endeffekt auch genau so verlaufen.
Von Offensive auf der gesamten Front, zu nur noch abschnittsweiser Offensive (Nord, Mitte, Süd), bis zu mehr oder weniger regionaler Offensive (Kursk 1943) hin zur Defensive und Niederlage.
Mit Fortschreiten des Krieges haben sich die Möglichkeiten immer weiter verkleinert, bis zum Verlust der Initiative.

Nur die Besonderheit der Aufmerksamkeit der Aufspaltung ist mir doch neu.
Man hatte schlicht und ergreifend zuwenig Truppen um beide Ziele (Stalingrad und den Kaukasus) zu erreichen. Ob nun nacheinander oder gleichzeitig.


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400plus
Beitrag 8. Sep 2017, 21:56 | Beitrag #5
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ZITAT(Seydlitz @ 8. Sep 2017, 22:53) *
Nur die Besonderheit der Aufmerksamkeit der Aufspaltung ist mir doch neu.
Man hatte schlicht und ergreifend zuwenig Truppen um beide Ziele (Stalingrad und den Kaukasus) zu erreichen. Ob nun nacheinander oder gleichzeitig.


Ja, zumal wenn man dann noch die 11. Armee größtenteils nach Leningrad schickt. Ich hätte das Problem da deswegen schon bei der Konzipierung von "Blau" angesiedelt, das mit zwei weitreichenden Zielen zu ambitioniert war.
 
 
 

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