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> Totenschändung?, Artikel im Spiegel
Nite
Beitrag 31. Oct 2006, 13:32 | Beitrag #121
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Generalmajor d.R.
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QUOTE(polo @ 31. Oct 2006, 13:28) [snapback]849341[/snapback]
Wie im Kindergarten! wallbash.gif

Ist das bei der heutigen Führung (sowohl politisch als auch militärisch) etwas neues?


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Major_Steiner
Beitrag 31. Oct 2006, 14:39 | Beitrag #122
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Hab in der F.A.S. vom letzten Sonntag einen sehr guten Artikel gelesen, da Nicht-Abonnenten glaube ich dafür zahlen müssen, stelle ich mal den ganzen Artikel rein. Meiner Meinung nach ein sehr guter Beitrag zum Thema, lohnt sich wirklich mal zu lesen.

QUOTE
Bild mit Tod
Am Hindukusch wird auch unsere Selbstgerechtigkeit verteidigt. Dafür verlangen wir von den deutschen Soldaten den Einsatz ihres Lebens. Aber bitte mit guten Tischmanieren. Von Volker Zastrow

Unentschuldbar: so nannten Bundeskanzlerin Merkel, Bundesaußenminister Steinmeier, Bundesverteidigungsminister Jung das Treiben böser Buben in sandfarbenen Tarnuniformen. Eine Handvoll deutscher Soldaten hat vor Jahren in Afghanistan Schabernack mit einem Schädel getrieben, einer von den Burschen hielt das für die passende Gelegenheit, sein Geschlechtsteil auszupacken, und ein weiterer machte das in solchen Fällen übliche: Erinnerungsfotos. Inzwischen strömen immer neue Bilder auf den Markt, die Soldaten beim Hantieren mit anderer Leute Knochen zeigen.

Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit: Als Walter Benjamin diesen vielzitierten Aufsatz schrieb, Mitte der dreißiger Jahre, gab es noch keine Digitalkameras. Auch die Fotos, mit denen fünfzig Jahre später Reemtsmas Wehrmachtsausstellung bestückt werden konnte, existierten noch nicht: von Soldaten geschossene Bilder, die Kriegsverbrechen dokumentierten. Waren diese Verbrechen übrigens nicht noch unentschuldbarer?

Unentschuldbarer als unentschuldbar geht nicht, denn sonst wäre das Unentschuldbare entschuldigt. Also haben die hohen Politiker wohl etwas zu dick aufgetragen. Auch die Vergleiche mit den Folterfotos aus Abu Ghraib gehen viel zu weit. Auf jenen Bildern waren Folterungen zu sehen. Derartige Verbrechen wird im Ernst wohl niemand den deutschen Soldaten vorwerfen, die jetzt als Totenschänder traurigen Ruhm erlangt haben. Nicht einmal, ob sie sich strafbar gemacht haben, ist wirklich sicher. Soweit man weiß, haben sie in Afghanistan nicht etwa Grabstätten entweiht - falls das überhaupt geschehen ist, haben das die Einheimischen besorgt. Doch in einem Land, in dem seit Jahrzehnten Krieg wütet und das seit Jahrzehnten immer wieder von fremden Truppen besetzt wurde, gelten ohnehin andere Pietätsparameter.

Bisher ist noch nicht einmal klar, ob es sich um eine Beisetzungs- oder Totengedenkstätte handelte, aus der die Gebeine stammten. Das aber wäre eine mögliche Voraussetzung für wenigstens den Tatbestand des "beschimpfenden Unfugs", die andere, daß jemand die Leichenteile in Gewahrsam hatte. Seit Millionen Deutsche - nebst Kindern - ihren Spaß mit den Fledderleichen des Plastinators Gunther von Hagens hatten, sind die vermeintlich zivilisierteren deutschen Maßstäbe in dieser Hinsicht ohnedies ziemlich krumm.

Strafbar oder nicht: widerlich genug, wenn auch am Rande der Hirnrissigkeit, ist die afghanische Sache allemal. Vor allem bei einem der Fotos aus der allerersten Serie, da, wo Glied und Schädel zusammengebracht werden. Auch ohne den Schädel wäre dieses Bild allerdings anstößig. Doch die Kombination von Gewalt (hier durch das Symbol des Todes sichtbar gemacht) und Sexualität ist besonders eklig. Allerdings kann man nicht behaupten, daß die Soldaten diese Kombination - Sex und Gewalt - erfunden haben: Sie konnten sie auch vorher schon jeden Tag in der "Bild"-Zeitung bewundern. Oder im Fernsehen.

Diese Bilder aber mußte die "Bild"-Zeitung unbedingt bringen, da sie doch, wie ihr Chefredakteur Diekmann sagt, "den vorbildlichen, tadellosen Einsatz der vielen tausend Bundeswehrsoldaten im Ausland belasten". Das kann man wohl sagen.

Seitdem kombiniert das Blatt freischaffend weiter: Seit Tagen präsentiert es unter dem Schlagwort "Totenschändung" Aufmacher der afghanischen Schädelfotos zusammen mit lüstern blickenden Barbusigen oder, beispielsweise, Moshammers abgeschiedenem Trageterrier Daisy. Das zeigt vor allem eins: den Unterschied zwischen Profis und Laien.

Darüber hinaus wird man sich aber fragen dürfen, wieviel "interkulturelle Kompetenz" tatsächlich von Soldaten, vor allem von Mannschaftsdienstgraden, bei Auslandseinsätzen ernstlich erwartet werden kann. Natürlich muß man sie ihnen beibringen und abverlangen - aber spätestens, wenn scharf geschossen wird, ist diese Art von Kompetenz wertlos.

In Deutschland mußte man sich damit bisher nicht befassen. Doch der Soldat in Afghanistan kommt nicht umhin, sich damit auseinanderzusetzen. Aus hiesiger Sicht sind unsere Soldaten die denkbar friedlichsten; sie sind Aufbauhelfer, Sozialarbeiter, Staatsbürger und Botschafter in Uniform, sie sollen Schulen streichen und alten Mütterlein über die Straße helfen. Sie sollen sein, was sie seit Jahrzehnten waren, nur eben "out of area", außerhalb des Bündnisgebiets der Nato.

Aber dort sind sie vor allem Soldaten. Und die eigentliche Kompetenz von Soldaten ist nicht besonders interkulturell: Soldaten sollen töten. Oder sich töten lassen. Sonst könnte man nämlich auch gleich Zivildienstleistende, Lehrer, Ärzte, Maurer und Krankenschwestern schicken. Natürlich will man den Tod und das Töten vermeiden, solange es geht. Aber am Grundsätzlichen ändert das nichts: Soldaten müssen bereit sein zu töten, und Soldaten müssen bereit sein zu sterben.

Es mag sein, daß wir das mitunter vergessen. Es mag sogar sein, obwohl man es nicht für möglich halten möchte, daß die Bundeskanzlerin, der Außenminister, der Verteidigungsminister nicht immer daran denken - und auch der eine oder andere Bundestagsabgeordnete nicht, der mit seiner Stimmabgabe im Parlament die Soldaten in den Einsatz geschickt hat. Aber die Soldaten selbst können es nicht vergessen. Für sie, die am Hindukusch unsere Sicherheit verteidigen, ist der Hindukusch ganz nah. Da relativiert sich die Bedeutung von Tischmanieren.

Übrigens ist ja die Kombination von Totenkopf und Sex nicht neu: Das amerikanische "Life"-Magazin vom 22. Mai 1944 zeigt eine attraktive Kriegsbraut mit dem Geschenk ihres Verlobten: dem Schädel eines Japaners. Im pazifischen Krieg herrschte ein reger inneramerikanischer Verkehr mit solchen Schädeln, mit Knochen, Nasen und Ohren von Japanern; ein zum Brieföffner umgestalteter Knochen wurde Präsident Roosevelt als Geschenk geschickt, der zwar dankend ablehnte, aber keinen Tadel aussprach oder gar ein Kriegsgerichtsverfahren einleitete.

Soweit sind wir nicht. Aber sollen wir glauben, daß die beträchtliche Spanne zwischen den in jüngerer Vergangenheit gleichfalls digital dokumentierten Untaten amerikanischer und britischer Soldaten und den vergleichsweise banalen Grenzüberschreitungen deutscher Soldaten in einem gesünderen deutschen (Staats-)Wesen begründet seien? Nein, Deutschland konnte sich den Krieg bisher nur besser vom Leibe halten. Am Hindukusch wird nämlich Deutschlands innere Sicherheit verteidigt: die moralische Selbstgewißheit - und die Zumutungen an diese Selbstgewißheit teilt das Land mit den Soldaten, die sie verteidigen, gerade nicht. Oder erst jetzt. Durch die Skandalfotos. Warum gibt es überhaupt solche Bilder? Warum fotografieren Leute, und beileibe nicht nur Soldaten, ihre Schandtaten?

So rätselhaft das auf den ersten Blick erscheint, so leicht ist es erklärt: Für derartige moralische Grenzüberschreitungen braucht man die Zustimmung anderer, meist die einer Gruppe. So wird das unrechte Tun gerechtfertigt. Und das Fotografieren ist ein zusätzliches Mittel, sich Rechtfertigung zu verschaffen, auch über die Ursprungsgruppe hinaus. Im Zeitalter digitaler, also praktisch unumschränkter und augenblicklicher Kopierbarkeit bedeutet das gleich zweierlei: Solche Bilder zu zerstören ist fast unmöglich. Und über kurz oder lang werden sie auch öffentlich - gegebenenfalls global. Heute kann man sie schon mit dem Handy machen.

Diese Bilder werden, wenn es um Krieg geht oder den Kampf von Kulturen, Teil dieses Kampfes oder Kriegs. Das läßt sich auch mit der Strategie einer "eingebundenen" Berichterstattung nicht vermeiden, wie die Amerikaner im Irak erfahren mußten. Daher rührt ja auch die Politiker-Rede von der Unentschuldbarkeit: In einer Zeit, in der schon ein vom Papst verwendetes Zitat über den Zusammenhang von Islam und Gewalt umgehend mit dem Mord an einer friedfertigen Nonne beantwortet wird, können schändliche, ja auch nur blödsinnige Taten und die einer heiligen Pflicht gleichenden Veröffentlichungen entsprechender Bilder deutsche Soldaten in Afghanistan in größte Gefahr bringen.

Aber geben wird es das trotzdem auch in Zukunft. Ereignisse nehmen auf ihre Entschuldbarkeit keine Rücksicht. Denn was zeigen die schlimmen Bilder? Soldaten, die sich, wenn auch in wahrhaft anstößiger Weise, mit dem Tod auseinandersetzen. Sie treiben mit Entsetzen Scherz. Aber was sollen sie eigentlich sonst mit dem Entsetzen treiben? Entsetzen?

In all dem liegt eine gewisse Gerechtigkeit. Der Bilderskandal bringt etwas näher, was wir uns lieber fernhalten wollen. Das ist die Auseinandersetzung darüber, was Afghanistan bedeutet: Krieg. Jedenfalls eher Krieg als Frieden, und vielleicht sogar einen Krieg, dessen Sieger nicht feststeht. Und daß auch Deutschland, nicht weniger als jedes andere Land, von Soldaten verlangt, für politische Ziele ihr Leben in die Waagschale zu werfen. Das verschiebt den Maßstab der Entschuldbarkeit.

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 29.10.2006, Nr. 43 / Seite 3


"Bild mit Tod" - F.A.S.

Gruß,
Major Steiner


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Mitleser
Beitrag 31. Oct 2006, 18:17 | Beitrag #123
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kriegsreisende.de-Artikel zur Thematik: Klick.

Der Beitrag wurde von Mitleser bearbeitet: 31. Oct 2006, 18:18


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