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> Die Spieltheorie - am Beispiel des russischen Kriegs in der Ukraine, Ausgelagert aus dem "politische Ebene des Kriegs" Thread
rekrats
Beitrag 11. Apr 2022, 21:14 | Beitrag #1
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ZITAT(goschi @ 8. Apr 2022, 07:31) *
ZITAT(rekrats @ 8. Apr 2022, 06:44) *
Es rationalisiert jedoch, unter der Prämisse dass es sich bedroht fühlt, u. a. das Verhalten Russlands.

Das ist natürlich absoluter Unsinn!
und das weisst du auch.

Kein Ausmass der Aufrüstung der ukraine könnte irgendwie eine Bedrohung für Russland sein, sehr wohl aber war der Truppenaufmarsch ab November an der Grenze der Ukraine und die sehr, sehr direkten mündlichen Drohungen eine akute Bedruhung der Ukraine durch Russland.

Nein, Russland kann seine "Argumentation" nicht legitimieren.
Russland hat 2014 militärisch die Ukraine überfallen, einen landesteil vollkommen Völkerrechtswidrig annektiert und einen weiteren Teil der ukraine militärisch besetzt mit beständiger Aggression, die ukraine war also beständig bedroht und selbstverständlich war eine Aufrüstung vollständig angebracht, um sich gegen Russland zu schützen und zu wehren!



und jetzt noch meine Ansage als Admin:
Ich schätze verschiedene Meinungen im WHQ sehr, was ich nicht dulde ist stumpfe Kreml-Propaganda mit Apologetismus, das habe ich wiederholt klargestellt. Willst du dergestalt weitermachen, werde ich eingreifen, weil das ist kein sachlicher Meinungsaustausch, das ist Tollen und Pöbeln



goschi (admin)


Spieltheorie, nicht kooperativ. Kleines 1x1 der Risikominimierung. Ob eine Aufrüstung eine "Bedrohung" für Russland erzeugt ist bedeutungslos, es erhöht die Kosten zur Intervention über die Zeit. Dies führt dazu, dass andere Äste im Baum die effizienteste Lösung werden, dh. eine sofortige Intervention wird im vergleich zum Abwarten die günstigere Lösung. "Moral" und "Legitimierung" lässt man normalerweise weg da beides rein subjektive nicht quantifizierbare Faktoren sind. Ob etwas "rechtmäßig" ist oder nicht, können sich die Völkerrechtler ausstreiten wird wird aber im Modell rein über die Kosten berücksichtigt. So ist, auch wenn du es ggf. nicht wahrhaben willst, die Welt heutzutage und jeder Analyst auf beiden Seiten (USA wie Russland) arbeitet mit solchen Mechanismen.

Ich bleibe bei meiner Aussage - wir sind nach wie vor im rein rationalen Bereich und es hat relativ wenig Eskalation stattgefunden. Wenn du es nicht verstehst, dann lass es dir von jemanden anderem im Forum erklären - ich weißt dass es ein paar Mitglieder gibt die das können.

Weil du es mir ja auch angekreidet hast - Die sofortige Kapitulation der Ukraine und Anerkennung der Forderungen Russlands (Neutralität, Blockfreiheit, "Entnazifizierung" was immer das bedeutet") war nun einmal die effizienteste Strategie zur Kostenminimierung der Ukraine. Sie ist es auch noch heute da ein Sieg der Ukraine nach wie vor eher unrealistisch ist und mit dem Fall Mariupols das Azov Battalion in nächster Zeit kleinere Brötchen backen wird. Ein Aussitzen wird es hier wohl auch nicht spielen da hier vitale Interessen einer Nuklearmacht berührt werden. (Rote Linie wurde ja mehrfach kommuniziert, Eskalation von Seiten Russlands ist problemlos und in sehr vielen Zyklen möglich).

Ergänzung: Langfristiges Ziel des Ganzen ist wohl die Vermeidung von nuklearen US Kurzstreckenwaffen in der Ukraine.

Der Beitrag wurde von rekrats bearbeitet: 11. Apr 2022, 21:45
 
Stormcrow
Beitrag 11. Apr 2022, 21:54 | Beitrag #2
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ZITAT(rekrats @ 11. Apr 2022, 22:14) *
Spieltheorie, nicht kooperativ. Kleines 1x1 der Risikominimierung. Ob eine Aufrüstung eine "Bedrohung" für Russland erzeugt ist bedeutungslos, es erhöht die Kosten zur Intervention über die Zeit. Dies führt dazu, dass andere Äste im Baum die effizienteste Lösung werden, dh. eine sofortige Intervention wird im vergleich zum Abwarten die günstigere Lösung. "Moral" und "Legitimierung" lässt man normalerweise weg da beides rein subjektive nicht quantifizierbare Faktoren sind. Ob etwas "rechtmäßig" ist oder nicht, können sich die Völkerrechtler ausstreiten wird wird aber im Modell rein über die Kosten berücksichtigt. So ist, auch wenn du es ggf. nicht wahrhaben willst, die Welt heutzutage und jeder Analyst auf beiden Seiten (USA wie Russland) arbeitet mit solchen Mechanismen.

Ich bleibe bei meiner Aussage - wir sind nach wie vor im rein rationalen Bereich und es hat relativ wenig Eskalation stattgefunden. Wenn du es nicht verstehst, dann lass es dir von jemanden anderem im Forum erklären - ich weißt dass es ein paar Mitglieder gibt die das können.

Weil du es mir ja auch angekreidet hast - Die sofortige Kapitulation der Ukraine und Anerkennung der Forderungen Russlands (Neutralität, Blockfreiheit, "Entnazifizierung" was immer das bedeutet") war nun einmal die effizienteste Strategie zur Kostenminimierung der Ukraine. Sie ist es auch noch heute da ein Sieg der Ukraine nach wie vor eher unrealistisch ist und mit dem Fall Mariupols das Azov Battalion in nächster Zeit kleinere Brötchen backen wird. Ein Aussitzen wird es hier wohl auch nicht spielen da hier vitale Interessen einer Nuklearmacht berührt werden. (Rote Linie wurde ja mehrfach kommuniziert, Eskalation von Seiten Russlands ist problemlos und in sehr vielen Zyklen möglich).

(Hervorhebung von mir.)

Widerspricht dein zweiter Absatz nicht der ersten Aussage, da die Ukraine, und das bedeutet eben nicht nur die Regierung, tagtäglich nicht den Deiner Meinung nach kosteneffizientesten Weg beschreitet? Hier sind anscheinend ideatorische Aspekte wichtiger als kühle Kostenminimierung und werden als vitales Staatsinteresse betrachtet: Der Fortbestand der Ukraine als eigenständiger Staat, das Narrativ der eigenständigen Ukraine auf dem Weg in eine moderne und (nach eigener Ansicht, n.b.) freie Zukunft. Dieses Narrativ wird durch jeden Kriegstag weiter verfestigt, auch im russischstämmigen Teil der Bevölkerung, wenn man den Umfragen und dem verbissenen Widerstand bspw. um Charkiw glauben kann.

Deiner Aussage, dass wir uns noch im rationalen Bereich bewegen, kann ich höchstens sehr bedingt zustimmen - rational ist das Handeln Russlands nur, wenn man zuerst ein ideelles Konstrukt von Russland als Weltmacht mit Einflusssphäre und Bestimmungsrecht über das "Near Abroad" in Belarus und der Ukraine akzeptiert. Dann ist Putins Handeln folgerichtig, aber um die horrenden Kosten an finanziellem und politischem Kapital wert zu sein, darf man diesen Krieg nicht nur nach Game Theory 101 betrachten.

Vielleicht habe ich da auch einen analystischen Bias. Ich fand den reinen (Neo)Realismus schon in meinen ersten IB-Seminaren im PoWi-Studium höchstens für akademische Fallstudien geeignet, der oftmals süffisante Ton der Vertreter und ihre Verachtung gegenüber "Idealisten" tat dann ein Übriges. Ungefähr so realistisch wie die meisten wirtschaftswissenschaftlichen Theorien wink.gif. (This post brought to you by Constructivism Gang.)


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ZITAT(Schwabo Elite @ 25. Sep 2016, 21:10) *
Ein ICBM-Schlag wäre eine definitive Aussage, die man nicht mehr zurücknehmen könnte.
 
goschi
Beitrag 11. Apr 2022, 21:56 | Beitrag #3
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ZITAT(rekrats @ 11. Apr 2022, 22:14) *
Spieltheorie, nicht kooperativ.

ich weiss welchen Youtube-Kanal du guckst, bitte lass es sein.
nein, die Spieltheorie ist keine Antwort, wie genau dieser Youtube-Kanal bewies, denn er lag wirklich konsequent bei allem daneben, was er zu diesem Krieg bisher prognostizierte.

Deine Implizite Ansage an die Ukraine ignoriere ich einfach mal...


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ZITAT(Forodir @ 31. May 2023, 20:26) *
Dass die Russen viele Verluste haben aufgrund ihrer offensiven Vorgehensweise, die sie sich bei Zapp Brannigan abgeschaut haben, ist davon unbenommen.
 
SailorGN
Beitrag 12. Apr 2022, 08:55 | Beitrag #4
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@rekrats: Spieltheoretisch hat Putin versagt. Mit dem Überfall hat er seine zuvor nur theoretisch einschätzbaren Möglichkeiten auf den Tisch gelegt und sie sind dem Praxistest unterzogen worden... wo sie allesamt versagt haben. Die ach so gehypte Armee versagt, Cyber ist bisher nix passiert und wirtschaftlich? Das Spice Gas fließt weiter... Mit Atomwaffen wird zwar mal indirekt gedroht, aber auch diese Option wird mittlerweile im Westen als Papiertiger gesehen. Pootin hat gezeigt, dass seine Macht keine ist. Er hat geblufft und verloren. Noch dazu hat er die strategische Position Russlands effektiv verschlechtert, die Streitkräfte werden in der Ukraine abgenutzt und im Norden kommt mal eben Finnland in die Nato... Finnland... nicht mal Breshnew hat es geschafft, dass Finnland seine Neutralität aufgibt. Was für ein Versager. Etabliert in Russland eine Kleptokratie und wundert sich dann, dass die von ihm protegierten Kleptokraten Mittel veruntreuen und bei Berichten lügen. Nein. Doch. Oh. Es wäre so erbärmlich, wenn nicht so viele Menschen für NIX sterben müssten.


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Dans ce pays-ci, il est bon de tuer de temps en temps un amiral pour encourager les autres - Voltaire
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Sumu
Beitrag 12. Apr 2022, 09:37 | Beitrag #5
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ZITAT(SailorGN @ 12. Apr 2022, 09:55) *
Spieltheoretisch hat Putin versagt. Mit dem Überfall hat er seine zuvor nur theoretisch einschätzbaren Möglichkeiten auf den Tisch gelegt und sie sind dem Praxistest unterzogen worden... wo sie allesamt versagt haben.


Spieltheoretisch hat Putin bereits früher seinen Fehler gemacht. An der Stelle als er sich auf ein Commitment einliess das grösser ist als das seiner Gegner ohne sich selbst eine Weg aus der Affäre zu lassen. Seien Truppenstationierungen an der ukrainischen Grenze waren so gesehen ein unkluger Schritt. Vermutlich war ihm das egal weil er eh Krieg wollte, aber er hat sich damit nicht nur in einen Handlungszwang begeben sondern auch die Stärke seiner Assets geschwächt. Putin ist kein guter Spieler auf der strategischen Ebene.
 
goschi
Beitrag 12. Apr 2022, 09:46 | Beitrag #6
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der Kreml ist vor allem ein irrationaler Spieler und damit nicht gut und sinnvoll von der Spieltheorie abdeckbar, denn deren Hauptfehler ist generell, dass die von starker Rationalität ausgeht und das ist etwas, was uns Menschen sowieso oft abgeht.


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ZITAT(Forodir @ 31. May 2023, 20:26) *
Dass die Russen viele Verluste haben aufgrund ihrer offensiven Vorgehensweise, die sie sich bei Zapp Brannigan abgeschaut haben, ist davon unbenommen.
 
Sensei
Beitrag 12. Apr 2022, 11:43 | Beitrag #7
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Genau das wird ja teilweise bezweifelt.
Es scheint so als hätte Putin schlicht andere Prioritäten - und sich zudem noch hart verrechnet.

Wer als erste Priorität hat, in die Geschichtsbücher eingehen zu wollen und Lebensraum zu erobern, der kann die Priorität 'russische Bürger schützen' oder 'wirtschaftliche Kraft Russlands erhalten' auch mal gehörig abwerten.

IMO handelt Putin in seinem Narrativ, und entsprechend seiner Informationslage, rational.
Aber sein Koordinatensystem ist halt sehr verschoben.
 
SailorGN
Beitrag 12. Apr 2022, 11:51 | Beitrag #8
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Natürlich... nur waren seine Mittel am wirkungsvollsten, so lange er sie nicht oder nur zu seinen Bedingungen einsetzen konnte. Und das ist jetzt schiefgegangen, damit ist er der meisten Möglichkeiten beraubt.

Ich glaube nicht, dass er sich selbst als "rational" sieht, die Betonung der Rolle Russlands wider besseren Wissens ist nicht rational... genauso wie die empörte Reaktion auf die Sicht der Obamaadministration, die Russland nur als Regionalmacht (zu Recht) sah. Im Kreml und bei Putin herrscht der unbedingte Wille nach einem grundsätzlich anderen internationalen System vor, welches mit rationalem Austausch und rationaler Beurteilung von "Macht" nix zu tun hat.


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Wraith187
Beitrag 12. Apr 2022, 11:55 | Beitrag #9
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ZITAT(Sumu @ 12. Apr 2022, 10:37) *
ZITAT(SailorGN @ 12. Apr 2022, 09:55) *
Spieltheoretisch hat Putin versagt. Mit dem Überfall hat er seine zuvor nur theoretisch einschätzbaren Möglichkeiten auf den Tisch gelegt und sie sind dem Praxistest unterzogen worden... wo sie allesamt versagt haben.


Spieltheoretisch hat Putin bereits früher seinen Fehler gemacht. An der Stelle als er sich auf ein Commitment einliess das grösser ist als das seiner Gegner ohne sich selbst eine Weg aus der Affäre zu lassen. Seien Truppenstationierungen an der ukrainischen Grenze waren so gesehen ein unkluger Schritt. Vermutlich war ihm das egal weil er eh Krieg wollte, aber er hat sich damit nicht nur in einen Handlungszwang begeben sondern auch die Stärke seiner Assets geschwächt. Putin ist kein guter Spieler auf der strategischen Ebene.

Ich finde vor allem das Putin zu viel von der Ukraine auf einmal haben wollte. Das Putinrussland am 24.2. die Ukraine angegriffen hat, hat mich an sich nicht wirklich überrascht. Denn ich habe die mangelnde Reaktion des Westens auf Putins Vorgehen in Kukasus, Syrien, Krim und Donbas als konditionierende Elemente gesehen, bei der der Westen, durch seine mangelnde Reaktion, Putin jahrelang darauf konditioniert hat zu wissen, in welcher Größenordnung er Zivilisten töten und fremdes Staatsgebiet stückweise besetzen kann, ohne das es aus seiner Sicht ernsthafte, insbesondere militärische, Konsequenzen gibt.
Ich hatte allerdings erwartet, dass Putin die russischen Truppen an der Nord- und Ostgrenze der Ukraine nur nutzt um ukrainisches Territorium, insbesondere Kiew, zu bedrohen (aber nicht wirklich die Grenze zu überschreiten) und die Ukrainer so zwingt relevante Teile ihrer Truppen in Erwartung eines russischen Angriffs dort zu stationieren und auch stationiert zu lassen, während starke russische Kräfte aus der Krim ausbrechen westlich bis zum Dnjepr vorstoßen, die Wasserversorgung der Krim wieder herstellen, den Fluss für die Ukrainer sperren und dann in Lauerstellung gehen und der Rest der Südtruppen dann die Küste des asowschen Meeres entlang vorstößt, um einen Landverbindung zu den Volksrepubliken herzustellen und die Ukraine in Zukunft aus dem Asowschen Meer herauszuhalten. Und falls das alles relativ gut gelaufen wäre, hätte ich als Bonusoption noch von Mariupol aus einen Vorstoß nach Norden gesehen, um das von den Ukrainern gut befestigte Gebiet an der Grenze zu den Volksrepubliken von hinten zu bedrohen und sie zur Aufgabe ihrer Stellungen zu bringen und ggf. die wichtigen Gasfelder in diesem Bereich in Besitz zu nehmen. Und dann hätte ich einen weiteren "Friedensvertrag" und einige Jahre relative Ruhe erwartet bevor Putin sich dann irgendwo (Ukraine, Kaukasus, Baltikum) das nächste Stück Land im Handstreich geschnappt hätte.
Als dann der russische Angriff an allen Fronten zeitgleich ernsthaft kam und vorangetrieben wurde, war meine Reaktion ganz am Anfang: "Der will sich jetzt wohl mehr als die halbe Ukraine auf einmal einverleiben. Das ist ein bisschen viel auf einmal." Ich hatte am ersten Tag allerdings auch noch geglaubt, dass Putin das Einverleiben des Großteils der Ukraine mit seine Streitkräften innerhalb einiger Tage bis Wochen tatsächlich schaffen kann, der Widerstand der Ukrainer wahrscheinlich nicht ausreicht und der Westen zwar energisch diplomatisch protestiert, sich dann aber wie bisher immer mit Putin arrangiert. Lediglich die wahrscheinliche Dimension des geplanten Landraubs gab mir etwas zu Denken. Denn es ist ja für einen Staat und seine Bevölkerung ein Unterschied, ob sich ein Agressor im Handstreich einen kleineren Teil des Staatsgebiets aneignet oder das halbe oder gar ganze Land will.

Kurz : Das Häppchenweise erobern fremden Staatsgebietes hat vor dem aktuellen Krieg für Putin gut funktuíoniert und ich hatte eine entsprechend Fortsetzung erwartet. Jetzt war das aktuelle Häppchen allerdings deutlich größer als in den vorangegangenen Aktionen, was ich für zu viel hielt. Mich wunderte, dass Putin es jetzt plötzlich so eilig hatte viel Gebiet auf einmal zu bekommen, denn bisher hatte er eher vorsichtig agiert. Begrenztes Risiko und begrenzter Gewinn. Meine Vermutung ist, dass Putin entweder das Risiko für geringer einschätzte als ich, oder ihm schlicht die (Lebens-)Zeit davonläuft und er daher vor seinem möglichen Tod noch möglichst viel "regeln" wollte.

Der Beitrag wurde von Wraith187 bearbeitet: 12. Apr 2022, 11:58


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goschi
Beitrag 12. Apr 2022, 12:03 | Beitrag #10
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ZITAT(Sensei @ 12. Apr 2022, 12:43) *
IMO handelt Putin in seinem Narrativ, und entsprechend seiner Informationslage, rational.
Aber sein Koordinatensystem ist halt sehr verschoben.

Ein nicht bekanntes Verhaltensmuster ist automatisch für das Gegenüber oder den, der es einschätzen will nicht-rational, oder mindestens unbekannt
Und auch damit stösst die Spieltheorie wieder völlig an ihrr grenzen, sie geht immer von sowohl bekannten wie rationalen Verhaltensmustern aus und davon dass beide Seiten die des anderen kennen/einschätzen.

Selbst in den Wirtschaftswissenschaften scheitert die Spieltheorie in der Realität meistens, am ehesten funktioniert sie bei strickt monetären Konzepten wie Devisen-/Aktienhandel, bei derart komplexen Dingen wie Aussen-/Sicherheitspolitik, wo dann auch Faktoren wie Nationalismus, Stolz, Rassismus, usw mit reinspielen, ist die Spieltheorie mMn völlig nutzlos als reales Instrument.
Und eben, der aktuelle Krieg ist ein Paradebeispiel, all die lauten Spieltheoretiker lagen vollständig daneben und selbst nachträgliche Aktualisierungen liegen allesamt schon wieder daneben...

Sich auf die Spieltheorie berufen ist in dem thema mMn. nicht besser als mit Dartpfeilen auf Ereigniskarten werfen.


aber ich halte das "Deus Ex Putina" und ihn als alles planenden, rationalen Menschen mittlerweile längst für total überholt, Putin beweist konstant totale irrationalität, das kann man nicht schönreden als "dahinter Steckt ein rationaler Plan".
Dazu ist das "System Putin" längst ein Selbstläufer, der aus vielen Ebenen Druck auf die Führung ausübt und das Verhalten beeinflusst. und da man keinen Schrtt zurück kann, muss immer noch gesteigert werden, siehe die mittlerweile vorherrschende Rhetorik, das ist keine Rationalität, das ist nur noch panisches Reagieren auf Gegebenheiten.

---

P.S. thema ausgelagert wink.gif


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ZITAT(Forodir @ 31. May 2023, 20:26) *
Dass die Russen viele Verluste haben aufgrund ihrer offensiven Vorgehensweise, die sie sich bei Zapp Brannigan abgeschaut haben, ist davon unbenommen.
 
Sensei
Beitrag 12. Apr 2022, 12:11 | Beitrag #11
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Klar, wenn man den Gegner, und eine Motivation + Ziele falsch einschätzt, dann sind alle folgenden Überlegungen für den Popo.

Das gilt aber für spieltheoretische Überlegungen genauso wie für andere Einschätzungen der Lage.
 
Havoc
Beitrag 12. Apr 2022, 13:30 | Beitrag #12
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ZITAT(goschi @ 12. Apr 2022, 08:46) *
der Kreml ist vor allem ein irrationaler Spieler und damit nicht gut und sinnvoll von der Spieltheorie abdeckbar, denn deren Hauptfehler ist generell, dass die von starker Rationalität ausgeht und das ist etwas, was uns Menschen sowieso oft abgeht.


Dass ist so nicht richtig. Es ist leicht den Gegner als verrückt und irrational hinzustellen. Um aber in der Spieltheorie zu einem "richtigen" Ergebnis zu kommen, muss man die Charaktereigenschaften und die Ziele aller Spieler einbeziehen. Hier wurde auf westlicher Seite einiges von dem was Putin öffentlich gesagt hat ignoriert.
Putin hat in der Vergangenheit mit eingefrorenen Konflikten den Westen austesten können. Seine Lektion: Große Konsequenzen muss er nicht fürchten. Die Europäer sind unwillig die militärische Abschreckung hochzufahren. Sanktionen die für sie schmerzhaft sind, verhängen sie nich, sie kehren immer an den Verhandlungstisch zurück und lassen sich anlügen, wenn es ihren Interessen nutzt.

Putins Interesse:

Sewastopol ist der Flottenstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte.
Die Ukraine will in die EU und in die NATO
Haupteinnahmequellen sind Rohstoffe und Energieträger
Im Oleska-Feld in der Region Ivano-Frankivsk-Lemberg, im Osten im Yusifska-Feld zwischen Kharkiv und Donetsk sowie unter dem Schwarzen Meer werden Schiefergasvorkommen von 200 Mrd. Kubikmetern vermutet. Zusätzlich hat die Ukraine enorme Bodenschätze Erzen und seltenen Erden und Ackerboden bester Qualität.
Die Krim ist aus russischer Sicht russisch und wurde von Chrustschow rechtswidrig an die Ukraine verschenkt.

Spielziel1a: Der Flottenstützpunkt und damit die Krim soll unter russischer Kontrolle
Spielziel1b: Für die Versorgung der Krim benötigt er eine Landbrücke, damit bringt er mit Mariupol ein bedeutendes Industriezentrum und internationaler Seehafen unter seine Kontrolle -> Spielziel2
Spielziel2: Eine EU-/NATO- Ukraine als Erfolgsmodell ist für ihn innenpolitisch eine Bedrohung. Das Oblast Donezk ist war ein Kohlerevier und Industriezentrum. Sind Rohstofffelder, Industriezentren und die Seehäfen Mariupol und Odessa nicht mehr unter ukrainischer Kontrolle, ist die Ukraine wirtschaftlich extrem geschwächt und würde sie als Rohstoff-, Energie- und Getreidelieferant von rumänischen Schienen- und Hafenkapazitäten abhängig machen. -> Spielziel3
Spielziel3: Die Ukraine, erst recht als EU- Mitgliedsstaat als alternativen Rostoff- und Gaslieferanten für Europa auszuschalten, zumal eine Gaspipeline durch die Ukraine nach Europa bereits existiert.
Spielziel4: Die Rückkehr der Krim zu Russland ist propagandistisch für Putin ein großer Erfolg, um sich als starken Mann zu inszenieren

Gegenzüge:
Gegenzug1: Ein Nato-Betritt der Ukraine wurde auf dem NATO-Gipfel 2008 wegen Einspruch von Deutschland und Frankreich auf unbestimmte Zeit verschoben
Gegenzug2: Die Krimannexion 2014 hatte für Russland überschaubare Sanktionen. Die Abhängigkeit von russischen Gas wurde mit Fortsetzen des Projektes Nordstream2 und dem Verkauf der deutschen Gasspeicher von BASF an Gazprom 2015 vergrößert. Politsch wird bis Jan 2022 (Söder) an Nordstream2 festgehalten.
Die damalige Begründung der Bundesregierung zur Ablehnung von eigenen Reserven:
ZITAT
Die Bundesregierung lehnte die Einrichtung einer solchen Reserve jedoch mit Verweis auf den liquiden Weltmarkt für Erdgas ab. Mit den Niederlanden und Norwegen stünden genug alternative Lieferanten zur Verfügung, zudem könne Deutschland auch über Rotterdam und südfranzösische und italienische Tanker-Häfen mit verflüssigtem Erdgas versorgt werden.
(Quelle: Welt.de)
Gegenzug3: Das auf dem Nato-Gipfel 2014 in Wales bekräftigte „Zwei-Prozent-Ziel“ (auch von Bundesaußenminister Steinmeier) wird von den meisten Natomitgliedern nicht erreicht. Im Wahlkampf 2016 bezeichnete die SPD in als „falsch und unsinnig“, die Union wollte die Zielmarke bis 2024 erreichen. Im aktuellen Koalitionsvertrag stehen als langfristiges Ziel 3% in Summe für Diplomatie, Entwicklungspolitik und NATO-Verpflichtungen.

Die Rationalität Putins bestand darin, dass er klare geostrategische Interessen in der Ukraine hat, diese mit militärischen Mitteln am sichersten erreichen kann und keine ersten militärischen und wirtschaftlichen Risiken fürchten muss, wenn der Krieg für Russland schnell und (relativ) unblutig verläuft.
Und wenn wir ehrlich sind, so wie geraden die Deutschen bei Waffenlieferungen, SWIFT, Gas, Öl und Kohle rumeiern, hätte er damit wirklich so falsch gelegen? Hätte er nicht nach einigen Wochen oder Monaten auf ein von Deutschland und Frankreich initiiertes Minsk3 oder Ankara1 zur diplomatischen Konfliktbefriedung setzen können, wenn der ursprüngliche russische Plan aufgegangen wäre?
Ich habe da schon den Eindruck, dass der Eine oder Andere Vertreter des "Westens" am liebsten wieder in die seit Jahrzehnten eingeübte Russlandpolitik zurück will und der überraschende ukrainische Widerstand das ohne vollständigen Gesichtsverlust eben nicht ermöglicht.

Putin hat jetzt das Problem, das die "Sonderoperation" nicht nach ursprünglichen russischem Plan verläuft. Die "Sonderoperation" hat er u.a. mit der Entnazifizierung der Ukraine, Genozid an den prorussischen Menschen in der Ukraine und deren angebliches Streben nach Atomwaffen begründet.
Solange Donezk und Luhansk nicht vollständig unter russischer Kontrolle ist, und prominente ukrainische Politiker auf der Weltbühne gut sichtbar sind und nicht von ihm auf der Anklagebank eines russischen Tribunals vorgeführt werden kann, kann er innenpolitisch nicht von einer erfolgreichen "Sonderoperation" sprechen oder sich am 9.Mai als den Macher inszenieren, der Russland nach den Jelzin-Jahren wieder zur Großmacht gemacht hat.

Ist er irrrational, weil er mit Atomwaffen droht? Eine Drohung soll Einschüchtern und an dem Punkt hat bis jetzt diese Atomwaffendrohung gewirkt. Der Westen hat mit der militärischen Unterstützung bei der Art der gelieferten Waffen auf die Nichteignung als Offensivwaffen geachtet, um von russischer Seite nicht als Kriegspartei angesehen zu werden. Unter diesem Aspekt ist auch diese Atomdrohung rational, da sie ihren eigentlichen Zweck erfüllt.

Putin hat eine Gelegenheit für eine schnelle Entscheidung gesehen. Persönlich habe ich bis Januar die Annahme gehabt, dass Putin die Ukraine als Stressball benutzt um immer wieder Zugeständnisse von der Ukraine und der NATO abzupressen, in dem er den Konflikt in Donezk und Luhansk nach Bedarf hoch und runter fährt oder militärische Drohkulissen an der Russisch- Ukrainischen Grenze auf- und abbaut.

Der Beitrag wurde von Havoc bearbeitet: 12. Apr 2022, 13:32
 
Wraith187
Beitrag 12. Apr 2022, 14:03 | Beitrag #13
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Ich würde auch die Aussage unterstützen "Innerhalb seines eigenen kognitiven Koordinatensystems und aus seiner Innenperspektive handelt kein Mensch irrational." Aus der Außenperspektive kann das allerdings ganz anders wirken, insbesondere, wenn sich das innere Koordinatensystem und die Innenperspektive und darauf basierend die Handlungsweise eines Menschen abrupt ändert. Mindestens bis zu dem Zeitpunkt, wo der äußere Beobachter die geänderten inneren Axiome und Abhängigkeiten wieder erneut herausgefunden hat, erscheint ihm das Verhalten dieser "veränderten" Person unvorhersehbar oder irrational.

Beispiel:
Person A ist ein "Durchschnittsmensch" der hier die Außenperspektive auf Person B liefert.
Person B weicht kognitiv / hirnchemisch / psychisch vom Durchschnitt ab.
Eine der Manifestationen dieser Abweichungen ist: Person B denkt dass Roboteraliens ihn durch Wandsteckdosen abhören. Daher reißt er immer alle Wandsteckdosen heraus, wenn er nicht abgehört werden will. Aus der Innenperspektive von sich selbst handelt Person B vollkommen rational. Aus der Außenperspektive von Person A hingegen wirkt das Verhalten von B erst einmal irrational, bis A die zugrundeliegenden Axiome und logischen Abhängigkeiten von Bs Gedankengängen herausgefunden und verstanden hat. Ab diesem Zeitpunkt versteht A warum B so handelt, wie er handelt und kann daher das Verhalten von B korrekt abschätzen und vorhersagen.
Jetzt allerdings ändert sich abrupt das kognitiv-logische Koordinatensystem von B und damit seine Innenperspektive. Wenn nun A mit B interagiert und sich dabei an dem veralteten Koordinatensystem von B orientiert, wird das zu Unstimmigkeiten führen. Beispielsweise könnte B jetzt plötzlich denken sein oberes Bauchchakra könne nur von Energie aus Wandsteckdosen mit Energie für die Gesunderhaltung seines astralen Körpers versorgt werden. Unwissend ob der Veränderungen handelt A auf Basis des alten Koordinatensystems von B und versucht daher ihn in einem Raum ohne jede Wandsteckdose unterzubringen, um so zu tun, was er denkt, was B will oder bevorzugt. B hingegen könnte es jetzt so auffassen, dass A seinem Körper die notwendige Energie aus der Wandsteckdose bösartig vorenthalten will und darauf entsprechend heftig reagieren. A wäre jetzt nachvollziehbar ob des geänderten Verhaltens von B irritiert und könnte sein weiteres Verhalten erst einmal keinesfalls abschätzen oder vorhersagen, bis er das neue Koordinatensystem von B verstanden hat. Der Zeitraum in dem diese Unwissenheit besteht ist der kritische, da hier eigentlich keiner den anderen versteht und es leicht zu Missverständnissen oder Fehlhandlungen kommen kann, die auch tragisch enden können.

P.S.: Interessanterweise würde B, unter dem Einfluss seines neuen Koordinatensystems, seine eigenen Verhaltensweisen, während er unter dem alten Koordinatensystem agierte, als vom Normalen oder der Rationalität abweichend charakterisieren. "Oh, da war ich wohl nicht ganz bei mir. Das ist doch verrückt."


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Delta
Beitrag 13. Apr 2022, 09:31 | Beitrag #14
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Der spieltheoretische Ansatz hat aus meiner Sicht den Nachteil, dass er - zumindest nach meinem Verständnis - in seiner Betrachtungsweise für die Zeit des Spiels einen festen Satz an Spielern, Zielen und Regeln annimmt, bzw. annehmen muss, um Aussagen treffen zu können. Den Mensch steht es aber jederzeit frei, das Spiel zu ändern.

Ich mag da z.B.: Simon Sineks Betrachtungsweise, der (hat er geklaut, aber reitet den Gaul seit einigen Jahren) zwei Arten von Spielen unterscheidet:
Finite (endliche) Spiele: Feste Anzahl an Spielern, definiertes Spielziel, feste Regeln. Finite Spiele haben ein Spielziel, es gibt "Gewinner" und "Verlierer". Wenn es vorbei ist, kann man neu anfangen.
Infinite Spiele: Anzahl an Spielern und Regeln können sich ändern; das Spielziel ist, im Spiel zu bleiben, so lang man möchte und die Ressourcen hat, mitzuspielen.

Sinek sagt, dass man wissen muss, mit wem man spielt und welches Spiel man spielt, sonst passiert dummes Zeug.
Menschheit an sich ist grundsätzlich ein infinites Spiel, ebenso wie alle darauf aufbauenden Konzepte, wie Wirtschaft, Bildung, Staatlichkeit, etc.
Man kann in diesem an sich infiniten Spiel "Menschheit" natürlich immer wieder finite Spiele einflechten; er nennt als Beispiel u.a. das Herbeiführen des Ruins der UdSSR im Kalten Krieg, Quartalsbewertungen von börsennotierten Unternehmen, etc.

Er postuliert pauschal:
Infiniter Spieler spielt mit infinitem Spieler: Stabiles System
Finiter Spieler spielt mit finitem Spieler: Stabiles System
Finit trifft infinit: Kein stabiles System

Finite und Infinite Spiele unterscheiden sich gem. Sinek vom Mindset:
Infinit: wertegeleitet, mit abstrakten, aber stabilen Langzeitzielen,
Finit: interessengeleitet, mit konkreten Zielen, die unmittelbaren Vorteil bringen

Wenn ich das jetzt z.B. auf die Entwicklungen der letzten Jahre/Jahrzehnte übertrage, dann könnte man an der Stelle sagen: Das Aufbau- und Friedensprojekt EU, aber auch das Verteidigungsprojekt NATO waren wertebasiert als infinite Spiele angelegt, Ziel war es, das Spiel am laufen zu halten. Das gelang ganz gut.
RUS hingegen hat es nicht geschafft, nach dem KK in den infinit-Modus zu kommen, oder war zumindest mit den Ergebnissen unzufrieden und versucht hier anderen finite Spiele aufzuzwingen und dann zu gewinnen. (Sinek sagt, dass die USA leider seit dem Ende des KK sich auch in vielen interessengeleiteten finiten Spielen verhoben hat und dadurch Einbußen an Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit hinnehmen musste).

Vielleicht ist das der Grund, warum viele - gerade in der DEU Politik - derzeit scheitern, das ganze einzuordnen , richtig zu bewerten und angemessen zu reagieren.
Sie sind im falschen Spiel, bzw. haben sich darauf eingestellt, dass man für immer im politischen infinit-Modus bleiben kann (während man anerkennen muss, dass z.B. die DEU Wirtschaftsentwicklung mit Exportweltmeistertum nur von DEU als infinit angesehen wird und wurde und das immer wieder Knoten im deutschen Hirn und peinliche Momente verursacht, wenn man versucht wertebasierte Politik mit interessengeleiteter Wirtschaft zu verheiraten.)

Vielleicht ist das auch der Grund, warum manche Spieltheoretiker, die "rationale Entescheider" annehmen mit Vorhersagen scheitern; sie kennen das Spiel nicht und wissen z.B. nicht, was Putins Spielziel ist.

Gut investierte 10min: TedX: What game theory teaches us about war | Simon Sinek


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Wraith187
Beitrag 13. Apr 2022, 09:43 | Beitrag #15
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@ Delta: Wie ist deine Einschätzung: Betrieb die Sowjetunion oder auch Sowjetrussland vor 1990 ein nach deiner Definition infinites Spiel? Denn eigentlich glaubte man ja dort, dass der globale Sieg des Sozialismus nur eine Frage der Zeit, aber an sich unabwendbar war.


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goschi
Beitrag 13. Apr 2022, 09:54 | Beitrag #16
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ZITAT(Delta @ 13. Apr 2022, 10:31) *
Ich mag da z.B.: Simon Sineks Betrachtungsweise, der (hat er geklaut, aber reitet den Gaul seit einigen Jahren) zwei Arten von Spielen unterscheidet:
Finite (endliche) Spiele: Feste Anzahl an Spielern, definiertes Spielziel, feste Regeln. Finite Spiele haben ein Spielziel, es gibt "Gewinner" und "Verlierer". Wenn es vorbei ist, kann man neu anfangen.
Infinite Spiele: Anzahl an Spielern und Regeln können sich ändern; das Spielziel ist, im Spiel zu bleiben, so lang man möchte und die Ressourcen hat, mitzuspielen.

ich finde, da scheitert sie aber direkt wieder in sich, weil alles klassifiziert werden muss und zwar schlussendlich abschliessend.
Real aber wechseln sich Motivationen gerne schnell ab und veränder sich unter Umständen plötzlich, der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist ein schönes Beispiel
Die EU und NATO hat Appeasement versucht, es gab auch nach dem Angriff Versuche das weiterzuziehen, aber die Dynamik hat sich verselbständigt, dass selbst eine Schweiz ihre Neutralitätshaltung verändern musste, binnen Tagen, Deutschland wurde in der Dynamik umgekrempelt und hat immer noch völlig widersprüchliche Haltungen und auch der kreml scheint aktuell eher irgendwie zu versuchen die Welle zu reiten, denn noch wirklich Strategische Pläne zu haben, zugleich gibt es klare Strategische pläe, die der realen umsetzung aber widersprechen (Integration der eroberten gebiete vs. Umgang mit der Bevölkerung zB)

Es gibt halt auf keiner Seite wirklich DEN Spieler mit klarem Verhalten, sondern zig Spieler in zig wechselnden Stimmungen mit widersprüchlichen, sich ändernden Verhalten.

Kurz: mit der Komplexität der menschlichen Neigung zur Irrationalität aus vielerlei Gründen (Stolz, Sturheit, Verletzbarkeit) oder plötzlich geänmderten rationalen Zielen (äusserer und innerer Druck, Erkentnisse, Sturheit, usw) kommen solch zwingend simplifizierende Modelle einfach nicht klar.

Und eben, guckt man sich aktuell an, was Spieltheoretiker prognostizierten und noch immer progostizieren, scheitern die gerade tagtäglich erneut.
Ob es aus falscher Einschätzung der Spieler ist, oder weil sie veränderung der Spielweise nicht erkennen? schlussendlich egal, es funktioniert nicht bei Aussen/Sicherheispolitik im grossen Gefüge mit aber kleinteiligen Interessen.

Ich glaube Spieltheorie funktioniert entweder fürs ganz grosse Bild (klassisch die nukleare Abschreckung, mit der sie ja früh bekannt wurde) oder in sehr begrenzten, kleinteiligen Szenarien (Aktienmarkt mit begrenzten Faktoren zB), nicht aber bei etwas, das derart wechselhaft beeinflusst ist, wie ein Krieg aktuell.


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ZITAT(Forodir @ 31. May 2023, 20:26) *
Dass die Russen viele Verluste haben aufgrund ihrer offensiven Vorgehensweise, die sie sich bei Zapp Brannigan abgeschaut haben, ist davon unbenommen.
 
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Beitrag 13. Apr 2022, 09:58 | Beitrag #17
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Ich antworte mal vor Delta: Ja, die SU betrieb ein wertebasiertes Spiel. Das sieht man daran, dass teils gegen eigene Interessen verstoßen wurde. Die Unterstützung vieler "sozialistischer/kommunistischer" Bewegungen war wirtschaftlich ein Minusgeschäft, tlw. hat man damit existierende Wirtschaftsbeziehungen zerstört oder eine wirtschaftliche Annäherung verhindert. Auch die Vasallen hat man angehalten, massiv bei sehr hohem Ausfallrisiko zu investieren. Man kann dies bspw. am sozialistischen Engagement in Ostafrika (Somalia, Eritrea, Äthiopien) sehen. Wichtig ist dabei aber auch, dass die SU mit dem Internationalismus eine integrative Doktrin hatte, die "infinite" Spielerzahlen zugelassen hätte.


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Delta
Beitrag 13. Apr 2022, 10:02 | Beitrag #18
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Wenn ich Sinek folge, dann wäre die UdSSR das Paradebeispiel eines Spielers, der versucht, mit finitem Mindset im infiniten Spiel zu bleiben und dabei alle seine Ressourcen verbraucht, um im Spiel zu bleiben:

Ich zitiere mal aus Dr.Strangelove:
ZITAT
President Merkin Muffley:
But this is absolute madness, Ambassador! Why should you *build* such a thing?

Ambassador de Sadesky:
There were those of us who fought against it, but in the end we could not keep up with the expense involved in the arms race, the space race, and the peace race. At the same time our people grumbled for more nylons and washing machines. Our doomsday scheme cost us just a small fraction of what we had been spending on defense in a single year. The deciding factor was when we learned that your country was working along similar lines, and we were afraid of a doomsday gap.

President Merkin Muffley:
This is preposterous. I've never approved of anything like that.

Ambassador de Sadesky:
Our source was the New York Times.




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Beitrag 13. Apr 2022, 10:21 | Beitrag #19
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Mein Problem mit der "Wertebasierung" im Sozialismus ist, dass der Weg ins gelobte Land die gewaltsame Revolution ist und konsequent zu Ende gedacht daraus eigentlich nur eine perpetuierung von Gewaltakten folgen kann. Damit gefährdet die Revolution sich im Entstehen schon selbst. Das ist keine stabile Vision, auf die man hinarbeiten kann, sondern erzeugt auf Dauer nur eine paranoide Gewaltspirale, die die meisten Ressourcen auffrisst. Gilt eigentlich für alle Systeme, die ideologisch aus einem Verbrechen urgeformt werden (müssen); wenn eine Vision für Gesellschaft keine handhabbare Option für einen peaceful transition of power mit Rückgabe/Rückkopplung/Affirmation dieser Staatsgewalt an die Gesellschaft selbst in diesem Moment des Übergangs vorsieht, dann wird es aus meiner Sicht nie ein stabiles System.

Der Beitrag wurde von Delta bearbeitet: 13. Apr 2022, 10:22


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Beitrag 13. Apr 2022, 10:35 | Beitrag #20
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ZITAT(goschi @ 13. Apr 2022, 10:54) *
ZITAT(Delta @ 13. Apr 2022, 10:31) *

ich finde, da scheitert sie aber direkt wieder in sich, weil alles klassifiziert werden muss und zwar schlussendlich abschliessend.
Real aber wechseln sich Motivationen gerne schnell ab und veränder sich unter Umständen plötzlich, der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist ein schönes Beispiel
Die EU und NATO hat Appeasement versucht, es gab auch nach dem Angriff Versuche das weiterzuziehen, aber die Dynamik hat sich verselbständigt, dass selbst eine Schweiz ihre Neutralitätshaltung verändern musste, binnen Tagen, Deutschland wurde in der Dynamik umgekrempelt und hat immer noch völlig widersprüchliche Haltungen und auch der kreml scheint aktuell eher irgendwie zu versuchen die Welle zu reiten, denn noch wirklich Strategische Pläne zu haben, zugleich gibt es klare Strategische pläe, die der realen umsetzung aber widersprechen (Integration der eroberten gebiete vs. Umgang mit der Bevölkerung zB)

Es gibt halt auf keiner Seite wirklich DEN Spieler mit klarem Verhalten, sondern zig Spieler in zig wechselnden Stimmungen mit widersprüchlichen, sich ändernden Verhalten.

Kurz: mit der Komplexität der menschlichen Neigung zur Irrationalität aus vielerlei Gründen (Stolz, Sturheit, Verletzbarkeit) oder plötzlich geänmderten rationalen Zielen (äusserer und innerer Druck, Erkentnisse, Sturheit, usw) kommen solch zwingend simplifizierende Modelle einfach nicht klar.

Und eben, guckt man sich aktuell an, was Spieltheoretiker prognostizierten und noch immer progostizieren, scheitern die gerade tagtäglich erneut.
Ob es aus falscher Einschätzung der Spieler ist, oder weil sie veränderung der Spielweise nicht erkennen? schlussendlich egal, es funktioniert nicht bei Aussen/Sicherheispolitik im grossen Gefüge mit aber kleinteiligen Interessen.

Ich glaube Spieltheorie funktioniert entweder fürs ganz grosse Bild (klassisch die nukleare Abschreckung, mit der sie ja früh bekannt wurde) oder in sehr begrenzten, kleinteiligen Szenarien (Aktienmarkt mit begrenzten Faktoren zB), nicht aber bei etwas, das derart wechselhaft beeinflusst ist, wie ein Krieg aktuell.


In der Silicon Valley - Economy hat man disruptives Verhalten zur Kunstform ernannt. Neuer Spieler ändert die Regeln. Das lebt davon, anderen das Spiel kaputt zu machen und sich dann die Ressourcen unter den Nagel zu reißen.
Disruptive Verhaltensweisen sind ja qua Definition schon mathematisch betrachtet nichtlinear/unstetig und eigentlich nur mit Wahrscheinlichkeiten zu hinterlegen, die auch nur dann eine gewisse Vorhersagekraft haben, wenn ich das ganze System hinreichend genau beschreiben kann.
Daran kranken ja alle Frühwarnsysteme, egal ob sie auf festen Indicators and Warnings oder auf sonstiger Mustererkennung basieren.

Das ist wie Erdbebenforschung: Vielleicht beobachtet man die tektonische Verwerfung, vielleicht kann man eine Wahrscheinlichkeit für ein Beben der Stärke X in den nächsten Y Jahren in der Region Z bestimmen; aber den genauen Zeitpunkt und die genaue Stärke wird zwei Monate oder zwei Wochen vorher noch keiner Wissen, genauso wie es auch keine Beben ausschließt, die völlig überraschend kommen.

Deswegen halte ich auch von diesem ganzen Predictive Analytics-Hype nix.


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Wraith187
Beitrag 13. Apr 2022, 10:54 | Beitrag #21
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Bezüglich Vorhersagbarkeit fällt mir immer der alte Spruch ein:

Das Verhalten einer Menge (von Menschen) ist relativ sicher vorhersagbar, das Verhalten eines Einzelnen ist es nicht.

Inzwischen ist man ja schon länger dabei Vorhersagen von menschlichem Verhalten mit Wahrscheinlichkeiten, basierend auf Erfahrungen, Kausalitäten, aber auch Korrelationen, ergänzt jetzt mit AI u.Ä., zu versehen. Die Chinesen treiben das ja halbwegs offen voran indem sie zum Beispiel bei manchen Menschen nahezu eine Totalüberwachung betreiben (alle nahezu "alle" Verhaltensweisen erfassen, und diese Daten verknüpfen) und dann mittels Software mögliche zukünftige Verhaltensweisen mit einer Wahrscheinlichkeit versehen. Und wenn ihnen die Wahrscheinlichkeit und eine bestimmte mögliche Verhaltensweise nicht passt greift man auch schon mal präventiv hart zu.

Beispiel: Chinesischer Staatsbürger, Angehöriger einer ethnischen Minderheit, kein Parteimitglied, alleinstehend, keine Staatspartei unterstützenden Tätigkeiten in der Vergangenheit, wirtschaftlich unterdurchschnittlich erfolgreich.
Kauft (und konsumiert dann wohl auch) plötzlich keinen Alkohol mehr, verlässt sein Haus und andere Häuser durch Nebenausgänge, kauft ein Küchenmesser.
Da geht sofort in der Software ein niederschwelliger Terrorverdachtsalarm los und der gute Mann wird von der Polizei aufgesucht. Weil Vorhersage: Der könnte mit x%-iger Wahrscheinlichkeit etwas Terroristisches vorhaben.


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goschi
Beitrag 13. Apr 2022, 11:14 | Beitrag #22
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Und wie schon der Film Minority Report zeigte (oder die US versuche Terrorismus präventiv zu erkennen mit massenüberwachung), damit erzeugt man primär unendlich viele Falsch-Positive und das eine Falsch-Negativ führt dann doch wieder zu so viel Schaden, dass der Nutzen fragwürdig ist (von der Einschränkung der Freiheit vieler ganz zu schweigen).

Vorhersagen, Menschliche, wirtschaftliche, wissenschaftliche, scheitern alle daran, dass sie nur bekanntes extrapolieren können und unbekanntes nicht berücksichtigen, daran scheitert auch jeder "achso kluge" Algorithmus, der dann doch nur lernen kann, was man ihm füttert (und am Ende alle Gesichter nach Merkmalen der weissen, männlichen Mitarbeiter bewertet, nach deren Bildern trainiert wurde, oder nach instagram-Bildern, die alle geschönt sind und einige reale Falten überfordern den Algorithmus direkt)


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ZITAT(Forodir @ 31. May 2023, 20:26) *
Dass die Russen viele Verluste haben aufgrund ihrer offensiven Vorgehensweise, die sie sich bei Zapp Brannigan abgeschaut haben, ist davon unbenommen.
 
Wraith187
Beitrag 13. Apr 2022, 11:25 | Beitrag #23
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Also Algorithmen zur Bilderkennung sind aber manchmal auch einfach zu leicht zu verwirren:

Send Dunes - British cops want to usa AI to spot porn - but it keeps mistaking desert pics for nudes

Edit: Ich glaube Edward Snowden hatte mal etwas Ähnliches erwähnt. Da Bilderkennung noch nicht zuverlässig automatisch funktioniert muss immer noch viel von menschlichen Mitarbeitern staatlicher Behörden wie NSA gegengeprüft werden. Eine Idee ist daher möglichst viele "eklige", aber nicht illegale, Bilder zu verschicken um diese Mitarbeitern und Organistionen das Leben zu erschweren.

Der Beitrag wurde von Wraith187 bearbeitet: 13. Apr 2022, 11:29


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cons
Beitrag 13. Apr 2022, 12:18 | Beitrag #24
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Ich denke schon, dass man die Spieltheorie in gewisser Weise hier anwenden kann. Etwa auf den Fall westlicher Unterstützung (z.B. Waffenlieferungen, No-Fly-Zone) und Putins Eskalationsmöglichkeiten. Als Anwendung dessen, was man aus der spieletheoretischen Behandlung der Nuklear-Strategien gelernt hat.

Als russische Eskalationsmöglichkeiten gibt es eigentlich nur die schweren und ganz schweren Keulen. Angriffe auf NATO-Gebiet, Mobilmachung, Einsatz von chemischen Waffen oder Einsatz
von Nuklearwaffen in der Ukraine oder sogar gegen NATO-Länder. Alle diese Optionen sind mit erheblichen negativen Konsequenzen verbunden, die Russland gerne vermeiden möchte (sonst hätte es schon längst darauf zurückgegriffen). Das erinnert genau an die Schwächen der ehemaligen NATO-Doktrin der "Massive Retaliation", einen Agressor dadurch abzuschrecken, indem man ihm sofort mit massiver nuklearer Vergeltung droht.

Die Defizite dieser Strategie sind spieletheoretisch gut verstanden. Insbesondere funktioniert sie nur in Ein-Runden-Spielen aber versagt in Mehr-Runden-Spielen. Spielt ein Spieler A "massive Vergeltung" in Mehr-Runden-Spielen, hält Spieler B den Einsatz in jeder Runde klein (eskaliert nur wenig). Aufgrund der hohen Kosten der "massiven Vergeltung" für Spieler A selbst und dem geringen Nutzen den er daraus zieht (aufgrund des geringen Einsatzes von B), ist in jeder Runde die einzig logische Entscheidung für ihn zu kooperieren. Das kann Spieler B jede Runde wiederholen und so alles bekommen was er möchte.

Natürlich ist das eine extreme Vereinfachung menschlichen Handelns. Als Modellvorstellung kann sie aber vielleicht doch nützlich sein:

In jeder Unterstützungsrunde für die Ukraine muss der Eskalationsschritt klein genug bleiben, damit es sich für Russland nicht lohnt, darauf massiv zu antworten. Gleichzeitig soll der Einsatz aber auch so hoch sein, dass wir nicht 100 Runden spielen müssen. Da wir nur vermuten können, wie Putin Nutzen und Kosten bewertet, ist das nicht einfach.
 
Wraith187
Beitrag 13. Apr 2022, 12:22 | Beitrag #25
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Tja, hätten die Ukrainer ihre eigenen Atomwaffen behalten, müssten wir uns mit diesen ganzen Gedankenspielen gar nicht groß beschäftigen.

Deshalb kann eigentlich die Schlussfolgerung für die Zukunft nur lauten: Wenn man Atomwaffen hat, sollte man sie auch behalten.

Der Beitrag wurde von Wraith187 bearbeitet: 13. Apr 2022, 12:23


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Havoc
Beitrag 13. Apr 2022, 12:51 | Beitrag #26
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ZITAT(goschi @ 13. Apr 2022, 10:14) *
Und wie schon der Film Minority Report zeigte (oder die US versuche Terrorismus präventiv zu erkennen mit massenüberwachung), damit erzeugt man primär unendlich viele Falsch-Positive und das eine Falsch-Negativ führt dann doch wieder zu so viel Schaden, dass der Nutzen fragwürdig ist (von der Einschränkung der Freiheit vieler ganz zu schweigen).

Vorhersagen, Menschliche, wirtschaftliche, wissenschaftliche, scheitern alle daran, dass sie nur bekanntes extrapolieren können und unbekanntes nicht berücksichtigen, daran scheitert auch jeder "achso kluge" Algorithmus, der dann doch nur lernen kann, was man ihm füttert (und am Ende alle Gesichter nach Merkmalen der weissen, männlichen Mitarbeiter bewertet, nach deren Bildern trainiert wurde, oder nach instagram-Bildern, die alle geschönt sind und einige reale Falten überfordern den Algorithmus direkt)


Spieltheorien sind auch keine Glaskugeln. Sie dienen als grobes Instrument dazu vor allem langfristige Entscheidungen treffen zu können. Sie kann aber Täuschung und Irreführung nicht abbilden, wenn diese nicht als solche erkannt wird. Vorhersagende Polizeiarbeit kann auf Grund von Daten nur eine Wahrscheinlichkeit vorgeben, die es erlaubt in einer bestimmten Zeitspanne an einem bestimmten Ort die Polizeipräsenz zu erhöhen oder bestimmte Schutzmechanismen für Geldautomaten zu entwickeln. Das Funktioniert nur solange, bis die Gegenseite ihre Methodik verändert. Was Du hier kritisierst ist aber Profiling und das hat auch nur begrenzte Möglichkeiten. Kein Hersteller gibt eine Werbung in Auftrag ohne vorher Daten über die Zielgruppe seine Produktes ausgewertet zu haben.
KFZ- Versicherungen machen es, der Zoll und die Polizei machen es bei Fahrzeug- und Personenkontrollen, weil bestimmte Delikte jeweils einer Szene zugeordnet werden können. Partydrogen findet man halt eher bei Jugendlichen mit tiefergelegten Golf als bei einem Rentnerpaar mit Wackeldackel auf der Hutablage. Diese Methoden können aber konkrete Absichten von definierten Gruppen und Personen nicht vorhersagen, solche Darstellungen sind polemische Zerrbilder.

Der Beitrag wurde von Havoc bearbeitet: 13. Apr 2022, 12:53
 
goschi
Beitrag 13. Apr 2022, 13:02 | Beitrag #27
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ZITAT(Havoc @ 13. Apr 2022, 13:51) *
KFZ- Versicherungen machen es, der Zoll und die Polizei machen es bei Fahrzeug- und Personenkontrollen, weil bestimmte Delikte jeweils einer Szene zugeordnet werden können. Partydrogen findet man halt eher bei Jugendlichen mit tiefergelegten Golf als bei einem Rentnerpaar mit Wackeldackel auf der Hutablage. Diese Methoden können aber konkrete Absichten von definierten Gruppen und Personen nicht vorhersagen, solche Darstellungen sind polemische Zerrbilder.

Ich antwortete auch auf ein bestimmtes Posting wink.gif
Tatsache bleibt aber, dass die von dir beschriebenen Fälle einfach eine (hohe) Quote an Falsch-Positiven und Falsch-Negativen dulden, weil es im Durchschnitt ihre Berechnung verbessert, nicht im Einzelfall, der interessiert da gar nicht. Und das ist sowohl bei Verhaltensanalysen generell das Problem, sie berücksichtigt kaum Einzelfälle, abweichendes verhalten, sondern durchschnittliches Verhalten in einer definierten Bandbreite.
Das reicht für Werbung, Versicherungen und auch ein (massives) Verbessern der Verbrechensaufklärung, aber nicht um einzelne Menschen einzuordnen.
Man kann es trotzdem machen, China macht es, es ignoriert das verursachte Leid einfach, weil "nur das grosse ganze Bild zählt", aber - um wieder zur Spieltheorie zu kommen - für spezifische Analysen eignet es sich zu wenig und hat zu viel Ungenauigkeit.




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Wraith187
Beitrag 13. Apr 2022, 13:09 | Beitrag #28
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ZITAT(Havoc @ 13. Apr 2022, 13:51) *
... . Was Du hier kritisierst ist aber Profiling und das hat auch nur begrenzte Möglichkeiten. Kein Hersteller gibt eine Werbung in Auftrag ohne vorher Daten über die Zielgruppe seine Produktes ausgewertet zu haben.
KFZ- Versicherungen machen es, der Zoll und die Polizei machen es bei Fahrzeug- und Personenkontrollen, weil bestimmte Delikte jeweils einer Szene zugeordnet werden können. Partydrogen findet man halt eher bei Jugendlichen mit tiefergelegten Golf als bei einem Rentnerpaar mit Wackeldackel auf der Hutablage. Diese Methoden können aber konkrete Absichten von definierten Gruppen und Personen nicht vorhersagen, solche Darstellungen sind polemische Zerrbilder.

Wobei es ja eine relevante Frage ist: Finde ich Drogen bei den Jugendlichen so oft, weil Jugendliche einfach oft Drogen dabeihaben und das dann bei einer Drogenkontrolle festgestellt wird, oder finde ich Drogen bei Jugendlichen so oft, weil ich nur Jugendliche auf Drogen kontrolliere, während die drogenbesitzenden Rentner von mir gar nicht kontrolliert und daher auch nicht erkannt werden?
Wenn man mal Blindkontrollen macht kommt manchmal ziemlich Überraschendes für die Kontrolleure ans Licht. Beispielsweise die Rate von Geschlechtskrankheiten bei Senioren.


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Beitrag 13. Apr 2022, 13:23 | Beitrag #29
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Spieltheorien funktionieren aber auch nur so lange man die Spieler versteht und sie einschätzen kann. Das funktioniert bei den Chinesen ganz gut, weil die Chinesen sich kennen, das funktioniert bei den Amis gut mit ihren Kriminalitäts-Vorhersageprogrammen, die so ähnlich wie die Chinesen funktionieren. Man kennt sich. Das hört aber dann auf, wenn man Spieler von außerhalb des eignen Kulturkreises bewerten muss. Bestes Beispiel sind ja die Russen, hier geht ja schließlich um die Russen. Habe gestern eine Militärexpertin bei Lanz gesehen, die durchaus das aussagte was ich schon immer sagte. Wir sehen die Russen zu sehr aus unserer merkantilen humanistischen Europäischen Brille. Der Russe™ ist aber kein Europäer so wie wir einen Europäer verstehen. Der tickt anders. Ja, auch Russland ist eine Kulturnation und geografisch in Europa und die Kultur hat viele Berührungspunkte mit Europa. Aber der Russe™ unterscheidet sich extrem von uns, hat andere Vorstellungen als wir, hat einen anderen Bezug zum Leben als wir, hat andere Wertvorstellungen als wir. Wir kennen meist nur Russen aus den wohlhabenden westlichen urbanen Gebieten, wie Moskau oder St.Petersburg, die gut gebildet und Internet haben und dieses durchaus divers anwenden und so mit uns kommunizieren und ziehen daraus den Schluss wie die Russen so sind, nämlich auch nicht viel anders als wir. Aber das ist nur eine Minderheit und die Masse ist anders. Wir meinen, das Putin die vielen Toten um die Ohren fliegen werden, aber das wird es ihm nicht, genau so wie z.B. im Tschetschenien Krieg es nicht getan hat. Damals gab es rund 50.000 Tote, je nach Rechnung. Es hat die Gesellschaft nicht gejuckt. Warum sollte es die Gesellschaft jetzt jucken? Man meint Russland würde in ein paar Wochen pleite gehen. Nein, tut es auch nicht. Ein Staat kann sich zig fach überschulden wenn es ein Ziel erreichen will. Das war nie ein Hinderungsgrund. Auch die USA haben sich z.B. im 2.WK zig fach überschuldet um seine Ziele zu erreichen, von GB nicht zu reden. So scheitern sämtliche Spielregeln wenn man andere Spieler bewerten will, solange wir die anderen nicht besser verstehen und in die Rechnung einbringen. Wir müssen raus aus unserem Tellerrand. Aber erst mal muss man begreifen, dass man aus dem Tellerrand raus muss um es dann auch zu tun. Und genau da happert es. Wir sind doch etwas zu selbstgerecht. Und so werden wir die Russen und andere Kulturen nie so richtig einschätzen können um brauchbare Spieltheorien entwickeln zu können.


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Wraith187
Beitrag 13. Apr 2022, 13:33 | Beitrag #30
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Wobei man aber fairerweise sagen muss, dass es den anderen Kulturen mit "Dem Westen" oder "Den Deutschen" und ihrer Mentalität genauso geht. Eigentlich haben alle Menschen Schwierigkeiten damit Menschen und deren Verhaltensweisen aus anderen Kulturen zu verstehen und vorherzusagen. Diese Schwierigkeiten kann man durch Lernen und Interaktion abbauen, aber es gibt denke ich immer einen Rest den man nicht versteht.


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