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> GuĂ©rot, Dugin und Mackinders "Heartland-Theorie", Klassiker und Dilettanten der Geostrategie
Space Cadet
Beitrag 9. Dec 2024, 19:37 | Beitrag #61
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ZITAT(Glorfindel @ 6. Dec 2024, 20:19) *
Guérot und v.a. Dugin lassen wichtige Ideen, welche "den Westen" massgeblich prÀgten ziemlich aussen vor, nÀmlich die Freiheitsrechte und den Parlamentarismus und diese sind stark angelsÀchsisch geprÀgt. Die britischen Freiheitsrechte wurzelten in Dokumenten wie der Magna Carta (1215), die erste BeschrÀnkungen der königlichen Macht vorsah, und der Petition of Right (1628), die parlamentarische Rechte stÀrkte.
Besonders wichtig war die Bill of Rights (1689), die die Macht des Königs zugunsten des Parlaments einschrĂ€nkte, die Gewaltenteilung betonte und individuelle Rechte wie Redefreiheit und Schutz vor willkĂŒrlicher Verhaftung garantierte. Diese Tradition schuf in Großbritannien eine Kultur des Rechtsstaats und der bĂŒrgerlichen Freiheit, die von den Kolonisten in Nordamerika ĂŒbernommen, modifiziert und in die US-amerikanische Verfassung und Bill of Rights integriert wurde.Französische Philosophen wie Montesquieu, Voltaire und Rousseau hatten zuvor die AufklĂ€rungsideale geprĂ€gt, die in den USA praktisch umgesetzt wurden. Der französische General Marquis de Lafayette, ein enger Vertrauter von George Washington, brachte die Ideen und Erfahrungen der amerikanischen Revolution dann zurĂŒck nach Frankreich. Die Französische Revolution (1789) fand in einem Umfeld statt, das stark von den amerikanischen Errungenschaften beeinflusst war. Die ErklĂ€rung der Menschen- und BĂŒrgerrechte , verfasst von Lafayette und inspiriert von der Virginia Declaration und den US-Prinzipien, ĂŒbertrug die amerikanischen Freiheitsideale auf den französischen Kontext. Sie verband die amerikanische Betonung individueller Rechte mit den spezifisch französischen Werten von Gleichheit und BrĂŒderlichkeit. Von Frankreich aus verbreiteten sich diese Ideen dann v.a. in Westeuropa. In Russland konnten sich diese Ideen dagegen in der Praxis nie durchsetzen und wurden verhĂ€ltnismĂ€ssig schwach rezipiert. Auch auf universitĂ€ren Ebene hat man z.B. die Bedeutung der Feiheitsrechte in Russland nie begriffen, so dass wohl die meisten russischen Juristen gar nicht wissen was damit wirklich gemeint ist.

In der Schweiz konnten sich die Ideen der amerikanischen und französischem Revolution 1848 definitiv durchsetzen und fĂŒhrten zu einem modernen, freiheitlichen und föderalen Staat mit einer Verfassung, welche sich stark an die US-Verfassung (Föderalismus, Zweikammersystem, Grundrechte, Gewaltenteilung) und die frz. Revolutionsverfassung (letzteres wurde nicht offen deklariert (Bundesrat = Direktorium)) anlehnte. Im Verlaufe der 2. HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts kam es dann zu einer starken Demokratisierung der Schweiz (der Föderalismus mit den 24 Kantonen erwies sich als praktische Experimentierkammer) und hier beinflussten sich die Schweiz und die USA auch gegenseitig und amerikanische Staatsrechtler verfolgten intensiv die Entwicklungen in der Schweiz und ĂŒbernahmen auch demokratische Errungenschaften, welche in der Schweiz entwickelt wurden .

Als Schweizer Verfassungshistoriker fĂŒhle ich mich bereits vor diesem Hintergrund unendlich viel nĂ€her bei den USA, Grossbritannien und Frankreich als bei Russland, mit einer KrĂŒppelverfassung ohne Check- and Balances / Gewaltenteilung, wo einfach alle FĂ€den beim PrĂ€sidenten zusammenlaufen.


Volle Zustimmung! Man könnte auch noch ergĂ€nzen, dass Guerot mit dem Weglassen der angelsĂ€chsischen und dann auch der französischen Tradition zu Verfassungsstaatlichkeit und spĂ€ter Demokratie die zunĂ€chst positiv konnotierte Sonderwegtheorie der deutschen National(sozial)isten nach GrĂŒndung des 2. und des sog. 3. Reiches wiederbeleben bzw. D bewusst von Westeuropa abkoppeln will. - Sorry fĂŒr das lange Zitat und meinen inhaltlich dĂŒnnen Beitrag, aber diesen Hinweis halte ich dann doch fĂŒr symptomatisch. - D sah sich nĂ€mlich sich frĂŒher positiv als "Kulturnation", nach dem 2. WK ist dann der Sonderweg von Wehler u. a. als ErklĂ€rung des historischen Tiefpunkts der NS-Zeit herangezogen und modifiziert. Zu Staatsnation und Kulturnation:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nation#Kultur...n_nach_Meinecke

Und hier noch eine anschauliche Wiedergabe des Bildes der USA nach Guerot https://static-cse.canva.com/blob/210249/19-1.jpg
 
Glorfindel
Beitrag 9. Dec 2024, 20:54 | Beitrag #62
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TatsÀchlich lÀsst sich das Konzept der Staatsnation versus Kulturnation hervorragend in die Diskussion um Ulrike Guérots Arbeiten und ihre potenziellen Parallelen zu Àlteren deutschen Theorien einordnen.

Dein Hinweis auf die VernachlÀssigung der Traditionen der Staatsnation und Verfassungsstaatlichkeit ist zutreffend. Guérot scheint in ihren AnsÀtzen eine gefÀhrliche NÀhe zur Idee der Kulturnation zu entwickeln, die die Abkoppelung Deutschlands von Westeuropa und den liberalen Traditionen fördern könnte. Dies erinnert in gewisser Weise an die Sonderweg-Theorie der Vorkriegszeit, die Deutschland als kulturelle Ausnahme feierte, wÀhrend es politisch isoliert blieb.

Durch den Fokus auf kulturelle und historische Gemeinsamkeiten Europas anstelle der Verfassungstraditionen könnte GuĂ©rots Ansatz als eine Art Wiederbelebung des Sonderwegs interpretiert werden. Sie plĂ€diert fĂŒr eine "europĂ€ische Republik", die auf kulturellen und sozialen Verbindungen basiert – eine Vision, die potenziell die deutsche Ausrichtung von Westeuropa abkoppeln könnte.


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Glorfindel
Beitrag 10. Dec 2024, 00:38 | Beitrag #63
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Das ist ein Auszug aus GuĂ©rots jĂŒngsten Buch:

ZITAT
Es ist der Moment, in dem Europa begreifen sollte, begreifen müsste, dass die USA dabei sind, die einst kooperative und für beide Seiten des Atlantiks durchaus fruchtbare transatlantische Ordnung, die sie nach 1949 selber mitaufgebaut haben – inklusive der europäischen Integration – gleichsam zu pulverisieren, und dass das, was einst transatlantische Kooperation war, jetzt zum Missbrauch, ja, zur Vernichtung des heutigen Europas mutiert. (...) Es ist eins der Charakteristiken von Missbrauchsopfern, dass sie im Glauben an den ‚guten“ Vater oder Freund nicht erkennen oder zu denken zulassen können, dass Vertrauen und Freundschaft missbraucht werden. Man verdrängt. In diesem tiefenpsychologischen Konflikt steckt der gesamte europäische Kontinent derzeit!

(
) Im Ukraine-Konflikt zeigt sich (...), welcher Weltgeist sich künftig durchsetzen wird: der atlantische, auf harte NATO-Grenzen und US-Abhängigkeiten gebaute oder der transkontinentale, der die europäische Kooperation und Öffnung nach Osten sucht. (
)

Streifen wir nur mit einem Schlenker (...) dass im 17., 18. oder 19. Jahrhundert die kulturelle und geistesgeschichtliche Kongruenz von fernöstlichen, russischen und westlichen Staats- und Wirtschaftsphilosophien, zum Beispiel von Konzepten der Sozietät, der Communitas oder der Republik, grösser ist als alles, was Europa ideengeschichtlich seit dem 20. Jahrhundert mit den USA verbindet. (...)

Denn Europa hat im Kern keine liberale, geschweige denn eine wirtschaftsliberale oder gar neoliberale Tradition. Europas Juwel der Ideengeschichte ist der Begriff der Republik, der res publica, des öffentlichen Guten und des gemeinen Wohls. Europa ist nicht der Westen, wie Hauke Ritz in seinem neuen Buch Vom Niedergang des Westens zur Neuerfindung Europas betont. Vielmehr ist die Herauslösung und Wiederentdeckung der spezifischen europäischen Kultur aus der hybriden Erzählung eines Westens die geistige Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte! Erst dann kann Europa in Resonanz mit den anderen Kulturen des eurasischen Kontinentes treten. Die Verbindung mit dem eigenen, mit den kulturellen Wurzeln ist die Vorbedingung für eine multipolare Welt: Ich kann, wie Emmanuel Levinas schreibt, l’autrui, den anderen, nur erkennen, wenn ich selbst weiß, wer ich bin. Europa weiß das zurzeit nicht mehr, da es atlantisiert und verwestlicht wurde und sich selbst derzeit nur noch durch diese Brille lesen kann. (
)

Europa muss in seiner Geschichte den Baustein für seine Zukunft wiederfinden und „Friedensmacht Europa“ werden – dafür hat es jetzt (...) eine einzigartige Gelegenheit. Die dümmste aller Entscheidungen für Europa wäre es, auch ohne die USA gleichsam weiterhin „den Mackinder zu machen“ und die selbstzerstörerische, ja geradezu nihilistische europäische Politik mit Blick auf die Ukraine weiterzutreiben.

https://multipolar-magazin.de/artikel/drehp...-der-geschichte

Guérot beschreibt die USA nicht mehr als Partner Europas, sondern als Akteur, der die europÀische SouverÀnitÀt und Einheit gefÀhrdet:

Guérot verwendet die Metapher eines Missbrauchsopfers, um Europas VerhÀltnis zu den USA zu charakterisieren. Dieser Vergleich deutet auf eine tiefgehende AbhÀngigkeit Europas hin, die sie als manipulativ und schÀdlich beschreibt.

GuĂ©rot kritisiert die „Atlantisierung“ Europas, die sie als kulturelle Entfremdung beschreibt. Europa habe sich von seinen eigenen Traditionen abgewandt und sich einer westlichen ErzĂ€hlung untergeordnet, die von den USA dominiert werde.

Sie argumentiert, dass Europa kulturell und ideengeschichtlich mehr mit Eurasien und Russland gemein habe als mit den USA. Wie ich in meinem Post zur Entwicklung von Grundrechten geschrieben habe, ist dies (verfassungs-) geschichtlich ein völliger Unsinn und lÀsst die Bedeutung von Ideen, welche massgeblich im angelsÀchsischen Raum entwickelt und ausprobiert wurden, wie die Àlteren Freiheitsrechte, den Parlamentarismus, die Gewaltenteilung etc. völlig ausser Acht.

Mackinder argumentierte, dass die Kontrolle ĂŒber Eurasien der SchlĂŒssel zur globalen Macht sei. GuĂ©rot sieht in der westlichen UnterstĂŒtzung der Ukraine und der Konfrontation mit Russland eine gefĂ€hrliche Fortsetzung dieser Denkweise.

GuĂ©rot ĂŒberhöht die kulturelle und ideengeschichtliche Verbindung Europas mit Eurasien und Russland. Zweck dabei ist, Russland trotz seiner autoritĂ€ren Politik und Aggressionen in ein positiveres Licht zu rĂŒcken. GuĂ©rots Argumentation lĂ€sst eine kritische Reflexion ĂŒber die geopolitischen RealitĂ€ten vermissen, insbesondere ĂŒber die Bedrohung, die Russland fĂŒr die europĂ€ische SouverĂ€nitĂ€t darstellt.

Die Vorstellung, dass Europa nicht Teil des Westens sei, ist eine provokative Abkehr von der politischen und kulturellen RealitÀt nach 1945. Europa wurde bewusst in die westliche Wertegemeinschaft integriert, um Frieden und StabilitÀt zu gewÀhrleisten.

Guérots Argumentation stellt eine deutliche Abkehr von der westlichen Integration Europas dar und fordert eine neue europÀische IdentitÀt, die sie eher in den kulturellen Wurzeln des Kontinents als in den Prinzipien der liberalen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sieht.

GuĂ©rots Betonung auf eine Öffnung nach Osten und Eurasien muss als unausgesprochene Sympathie fĂŒr russische Narrative interpretiert werden, insbesondere angesichts ihrer Kritik an der westlichen UnterstĂŒtzung der Ukraine.

Ihre Argumentation erinnert an Ă€ltere europĂ€ische und deutsche Diskurse, die sich gegen den Liberalismus und fĂŒr eine kulturelle Sonderrolle Europas aussprachen – Diskurse, die in ihrer extremen Form auch ideologische Grundlagen des Nationalsozialismus waren.
GuĂ©rots Thesen sind provokant und regen zur Diskussion an, enthalten jedoch potenziell gefĂ€hrliche ideologische Elemente, die ergrĂŒndet und hinterfragt werden mĂŒssen.


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Glorfindel
Beitrag 10. Dec 2024, 01:03 | Beitrag #64
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Ein weiterer Textausschnitt aus Guérots und Ritz' Buch "Endspiel Europa", vermutlich aus der Einleitung:

ZITAT
Mit den USA als Ordnungsmacht kann Europa keine stabile politische Einheit werden und keinen konföderalen Frieden auf dem Kontinent finden. Und ohne die sibirischen Rohstoffe und den chinesischen Markt gibt es auch keinen dauerhaften Wohlstand für Europa. Es geht hier nicht um eine Dämonisierung der USA, sondern um europäische Emanzipation. (...)

Wir zeichnen in drei Kapiteln jeweils für die 1990er, 2000er und 2010er Jahre mit groben Strichen nach, wie und warum Europa in den letzten dreißig Jahren das, was es eigentlich werden wollte, aus den Augen verloren hat und die EU als politisches Projekt spätestens seit der Jahrtausendwende keine Chance mehr hatte.

Wir leiten aus amerikanischen Quellen her, dass der russisch-ukrainische Krieg ein lang vorbereiteter amerikanischer Stellvertreterkrieg ist, eine Apotheose jahrzehntelanger amerikanischer Geostrategie, deren eigentliches Ziel die Verfestigung der amerikanischen Dominanz in Europa ist. Europa soll von seinen wirtschaftlichen Adern im Osten abgeschnitten werden, jener Landmasse, auf der die FuÌˆĂŸe der Europa stehen. Es ist eine Politik der „restricted damage“, der kontrollierten, aber bewussten wirtschaftlichen Schädigung, die vor allem die Kappung des deutschen Handelsüberschusses, der im Osten erwirtschaftet wird, zum Ziel hat. Europa wird wirtschaftlich und strategisch von den USA gebraucht, soll sich aber in amerikanischen Augen eben nicht emanzipieren und dadurch möglicherweise zu einem Konkurrenten einer längst kränkelnden Weltmacht werden, die ihren eigenen Untergang fürchtet.

Die hier vorgetragene Analyse entspringt dem Wunsch nach einem geeinten Europa und einer kontinentalen Friedensordnung, die wir im Schlussteil dieses Buches einer näheren Betrachtung unterziehen werden. Wir wollen mit diesem Essay dazu beitragen, Europa aus der Verdrängung und Selbstablehnung des Eigenen herauszuholen: Es geht um die letzte Chance einer europäischen Emanzipation! (
)

Zu den häufigsten semantischen Setzungen seit Kriegsbeginn zählt die Rede vom „russischen Überfall“ oder dem „russischen Angriffskrieg“ auf die Ukraine. Keine Nachrichtensendung kommt bis dato ohne diese Formulierung aus. Damit wird insinuiert, dass sowohl die Ukraine als auch der Westen vom Krieg überrascht worden seien und ihn nicht haben kommen sehen, geschweige denn vorbereitet haben.

Eine genaue Analyse der Vielzahl an militärischen Aktivitäten, die Dutzende NATO-Staaten, aber insbesondere Großbritannien, die USA und Kanada, seit 2014 in der Ukraine entfaltet haben, zeigt indes deutlich, dass dem nicht so war. (
) Im Grunde genommen müsste die Frage, wer diesen Krieg wirklich begonnen hat, neu erforscht werden. Es geht eher um angelsächsische – nämlich amerikanische, britische und kanadische – Kriegsvorbereitungen gegen Russland, die zwar nicht in den Medien besprochen wurden, aber doch durch öffentliche Dokumente zugänglich waren und sind. (...)

Zu den häufigsten semantischen Setzungen seit Kriegsbeginn zählt die Rede vom „russischen Überfall“ oder dem „russischen Angriffskrieg“ auf die Ukraine. (...)

Eine genaue Analyse der Vielzahl an militärischen Aktivitäten, die Dutzende NATO-Staaten, aber insbesondere Großbritannien, die USA und Kanada, seit 2014 in der Ukraine entfaltet haben, zeigt indes deutlich, dass dem nicht so war. (
) Es geht eher um angelsächsische – nämlich amerikanische, britische und kanadische – Kriegsvorbereitungen gegen Russland, die zwar nicht in den Medien besprochen wurden, aber doch durch öffentliche Dokumente zugänglich waren und sind. (...)

Studiert man die westlichen Kriegsvorbereitungen im Detail, so wird deutlich, dass der Ukraine die Rolle zukam, stellvertretend für den Westen einen Krieg mit Russland zu beginnen, der dann militärisch und logistisch von NATO-Mitgliedstaaten unterstützt werden sollte, ohne die Allianz insgesamt direkt in den Krieg zu involvieren. Dieser Prozess sollte begleitet werden durch einen Wirtschaftskrieg (Sanktionen), Informationskriegsführung (antirussische Propaganda) und eine nukleare Einkreisung Russlands, die vor allem durch das Raketenschild in Rumänien und Polen sowie seegestützte KrĂ€fte, insbesondere Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse, sichergestellt werden sollte. All diese Maßnahmen entsprachen dem Streben der USA nach „Full Spectrum Dominance“ und zielten darauf ab, die Russische Föderation auf mehreren Ebenen so weit zu schwächen, dass das Land sein Gleichgewicht verlieren und innere Konflikte zum Sturz der Regierung führen würden.

GuĂ©rots und Ritz’ Text enthĂ€lt mehrere problematische Elemente:

- Die Kritik an der transatlantischen Ordnung und den USA wird in einer Weise vorgetragen, die Europa als Opfer darstellt und wenig Raum fĂŒr die komplexe RealitĂ€t der Beziehungen lĂ€sst.
- Die VorschlĂ€ge zur Zusammenarbeit mit Russland und China ignorieren die realen Gefahren und Spannungen, die diese MĂ€chte fĂŒr Europa darstellen.
- Die Forderung nach einer europÀischen Emanzipation und die Abgrenzung von den USA erinnert an Àltere geopolitische Diskurse, die Europa und insbesondere Deutschland als kulturelle Ausnahme sehen und die westliche Integration ablehnen.

WÀhrend der Wunsch nach einer eigenstÀndigen europÀischen Rolle in der Welt verstÀndlich ist, bleibt die Analyse einseitig und lÀsst entscheidende Aspekte der geopolitischen RealitÀt ausser Acht. Insbesondere in der aktuellen Lage, in der Russland eine offensive Politik verfolgt und China zunehmend aggressiv auftritt, erscheint die Forderung nach einer Abkopplung von den USA und einer AnnÀherung an Eurasien als naiv und unreflektiert.

Der Beitrag wurde von Glorfindel bearbeitet: 10. Dec 2024, 01:10


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SailorGN
Beitrag 13. Dec 2024, 10:16 | Beitrag #65
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Hmm, das Buch gibts (noch) nicht in der Bib meiner Wahl, aber ich wĂŒrde es sehr gern mal lesen (ohne es zu kaufen^^)
 ist halt wie Autounfall, schrecklich anzusehen aber wegschauen mag man auch nicht


Ein paar erste Gedanken bezogen auf den Klappentext/Einleitung. Es ist immer wieder erstaunlich, dass die gleichen, primitiven „Werkzeuge“/Methodiken immer wieder verwendet werden, obwohl sie sehr einfach erkennbar sind.

Simplifizierung bis es passt: „Europa“ wird als Einheit benannt, die innereuropĂ€ischen KomplexitĂ€ten werden nicht mal ansatzweise erwĂ€hnt; ihre Rolle bei der Vereinigung Europas wird weggelassen, womit nur noch „Àußere“ Faktoren eine Vereinigung Europas verhindern
 wie bspw. Die USA.

Übertreibung passender Fakten: Die „wirtschaftlichen Adern im Osten“ gibt es nicht. Die Kohlenwasserstoffleitungen des RGW sind singulĂ€re „PhĂ€nomene“, andere signifikante und herausragende Handelsbeziehungen gab/gibt es nicht
 insbesondere im agrarischen Bereich wurde Russland in Europa als Konkurrenz gesehen^^. Die „Kappung des im Osten erwirtschafteten HandelsĂŒberschusses“ wurde durch Russland selbst herbeigefĂŒhrt und darĂŒber hinaus durch alle Gewinne in den USA in den Schatten gestellt. Die „Wilder Osten“-Stimmung der deutschen Wirtschaft ist sehr schnell an den russischen RealitĂ€ten zerschellt.

Quellenarbeit: Das interessiert mich wirklich, da nicht erkennbar ist (und ich stark vermute, dass dies mit Absicht geschah), ob die Quellen entsprechend gut bewertet und eingeordnet wurden. Vielmehr wette ich, dass da ein Konvolut an „allem möglichen, was unsere Meinung stĂŒtzt“ zusammengetragen und ungeordnet auf einen Haufen geschmissen wurde.

MilitÀrische Vorbereitung: Hier das gleiche, aus den wenigen SÀtzen wird ersichtlich, dass man ex post vergangene Ereignisse (Raketenschild) nach genehmen, heute bekannten Gesichtspunkten bewertet. Auch interessiert mich, was die Burkes damit zu tun haben sollen
 wahrscheinlich gibts da Lehnstuhlgeneralwissen auf Aluhutniveau.


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Dans ce pays-ci, il est bon de tuer de temps en temps un amiral pour encourager les autres - Voltaire
Im Gegensatz zum Hirn meldet sich der Magen, wenn er leer ist.
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Glorfindel
Beitrag 13. Dec 2024, 10:56 | Beitrag #66
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Ich bin auch gespannt. Was ich bisher so gelesen habe, deutet daraufhin, dass der Text stark ideologisch gefĂ€rbt ist und wenig wissenschaftlich. Die geforderte "RĂŒckbesinnung auf eine spezifische EuropĂ€ische Kultur?" (welche denn? die Urnenflederkultur?), die geforderte Emanzipation von den USA, die Bezeichnung von Russlands Umgang mit Minderheiten als vorbildlich fĂŒr Europa, die betonen des Gegensatzes von kontinentaler Landmacht und atlantischer Seemacht, die Beschwörung der Achse Berlin - Moskau, etc. etc. lĂ€sst mich schon Böses ahnen. Wie bereits erwĂ€hnt, gehe ich davon aus, dass GuĂ©rot sich (wenn auch vermutlich nicht zitiert) auf Dugin stĂŒtzt und auch die Sonderwegtheorie wiederkĂ€ut.


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Elbroewer
Beitrag 13. Dec 2024, 12:02 | Beitrag #67
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Wenn ich mir Trump und Co so angucke und dann noch die Gefahr besteht, dass da noch ĂŒblere Typen zum Vorschein kommen, dann halte ich die Idee von einer Emanzipation fĂŒr richtig. Die EU sollte es langsam mal hinkriegen, auf eigenen Beinen zu stehen. Nur ist das Ranwanzen dieser "Experten" an die Russen ganz ĂŒbel. Die brauchen wir die nĂ€chste Zeit ganz bestimmt nicht.
 
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Beitrag 13. Dec 2024, 12:41 | Beitrag #68
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ZITAT(Glorfindel @ 10. Dec 2024, 01:03) *
Ein weiterer Textausschnitt aus Guérots und Ritz' Buch "Endspiel Europa", vermutlich aus der Einleitung:

Ich finde den Disconnect zu tatsÀchlichen Debatten in den USA und der amerikanischen Politik hier immer interessant.
Eine zumindest Teilweise "Emanzipation Europas" wie Guerot es ausdrĂŒckt, anderswo ist derzeit der Begriff "strategische Autonomie" in Mode, ist genau das was die Amerikaner seit den 90ern fordern. Dass es dazu nicht kommt liegt alleine an den EuropĂ€ern, nicht an finsteren amerikanischen Verschwörern die das europĂ€ische Projekt hintertreiben.


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Beitrag 13. Dec 2024, 13:13 | Beitrag #69
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ZITAT(SailorGN @ 13. Dec 2024, 11:16) *
Hmm, das Buch gibts (noch) nicht in der Bib meiner Wahl, aber ich wĂŒrde es sehr gern mal lesen (ohne es zu kaufen^^)
 ist halt wie Autounfall, schrecklich anzusehen aber wegschauen mag man auch nicht


Meine Bib hat es, erschreckenderweise sogar in allen Formaten - der Tinnef ist anscheinend populĂ€r genug, daß sich ein Hörbuch lohnt. Ansonsten wĂŒrde ich mit Sicherheit in der Schattenbibliothek meiner Wahl (Anna's Archive) fĂŒndig. wink.gif
 
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Beitrag 13. Dec 2024, 16:08 | Beitrag #70
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ZITAT(Glorfindel @ 13. Dec 2024, 10:56) *
Die geforderte "RĂŒckbesinnung auf eine spezifische EuropĂ€ische Kultur?" (welche denn? die Urnenflederkultur?


Hm, ist das die Globalisierung der Leitkulturdebatte?
 
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Beitrag 13. Dec 2024, 16:34 | Beitrag #71
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EuropÀische Leitkultur ist es doch, sich mindestens einmal im Jahrzehnt rundherum die Köpfe einzuschlagen: Deutsche gegen Franzosen, EnglÀnder gegen Franzosen, Deutsche und Russen gegen Polen, Deutsche, EnglÀnder und Russen gegen Franzosen, EnglÀnder, Franzosen und Russen gegen Deutsche,...
 
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Beitrag 13. Dec 2024, 16:44 | Beitrag #72
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Also eigentlich wollte ich UrnengrÀberkultur bzw. Urnenfelderkultur schreiben und nicht Urnenflederkultur.


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Beitrag 13. Dec 2024, 17:07 | Beitrag #73
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Wir haben in Europa ja ohnehin keine monolithische Kultur, sondern ein Mosaik aus verschiedenen Traditionen und IdentitĂ€ten. Europa lĂ€sst sich jedoch grob in zwei Lager unterteilen: Da gibt es die Regionen, die vom römischen Erbe geprĂ€gt sind, wo Genuss und Stil großgeschrieben werden. Dort versteht man es, gut zu essen und zu trinken, man ist immer modisch gekleidet und legt Wert auf Manieren. Und dann gibt es die anderen Regionen – die etwas rustikaleren Gegenden, wo Bier das NationalgetrĂ€nk ist, Fertigpizza als kulinarisches Highlight durchgeht und man stolz mit weissen Socken in Sandalen und kurzen Hosen herumlĂ€uft. Vom heutigen Russland wollen da schon gar nicht sprechen.


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Beitrag 13. Dec 2024, 17:46 | Beitrag #74
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ZITAT(Glorfindel @ 13. Dec 2024, 16:44) *
Also eigentlich wollte ich UrnengrÀberkultur bzw. Urnenfelderkultur schreiben und nicht Urnenflederkultur.


Passt ja trotzdem. Man versucht halt immer wieder etwas lÀngst tot Geglaubtes wieder zu beleben.

ZITAT(Glorfindel @ 13. Dec 2024, 17:07) *
Wir haben in Europa ja ohnehin keine monolithische Kultur, sondern ein Mosaik aus verschiedenen Traditionen und IdentitĂ€ten. Europa lĂ€sst sich jedoch grob in zwei Lager unterteilen: Da gibt es die Regionen, die vom römischen Erbe geprĂ€gt sind, wo Genuss und Stil großgeschrieben werden. Dort versteht man es, gut zu essen und zu trinken, man ist immer modisch gekleidet und legt Wert auf Manieren. Und dann gibt es die anderen Regionen – die etwas rustikaleren Gegenden, wo Bier das NationalgetrĂ€nk ist, Fertigpizza als kulinarisches Highlight durchgeht und man stolz mit weissen Socken in Sandalen und kurzen Hosen herumlĂ€uft. Vom heutigen Russland wollen da schon gar nicht sprechen.


Ein wenig rassistisch und chauvinistisch, findest du nicht?
 
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Beitrag 13. Dec 2024, 17:55 | Beitrag #75
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NatĂŒrlich sind diese Klischees ĂŒberzogen und dienen oft mehr der Selbstdefinition durch Abgrenzung als der Beschreibung der RealitĂ€t:

In Deutschland gibt es genauso gehobene KĂŒche, hochwertige Mode und anspruchsvolle Manieren.
In Italien oder Spanien gibt es Menschen, die Fertigpizza lieben und sich bequem kleiden.

Solche Klischees sind oft Ausdruck von regionalem Stolz oder kulturellem Humor, aber sie sollten nicht ĂŒber die tatsĂ€chliche Vielfalt hinwegtĂ€uschen. Europa ist vielschichtiger, als es diese Kategorien darstellen, und es gibt in jeder Region einen Mix aus Raffinesse, Pragmatismus und Eigenheiten. Wer mit einer Prise Humor darauf blickt, wird dabei sicher einige Wahrheiten entdecken – und einiges an Übertreibung. 😊


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Beitrag 20. Dec 2024, 15:16 | Beitrag #76
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Die innereuropĂ€ische Wahrnehmung des jeweils anderen Ă€ndert sich mehr oder weniger schnell, aber es Ă€ndert sich zum Guten. Besonders deutlich wird dies an der deutsch-französischen Wahrnehmung, hier hat sich meiner Erkenntnis nach insbesondere auf deutscher Seite viel getan. Nachholbedarf bei den Deutschen besteht noch nach Osten (Polen) und insbesondere SĂŒdosten (RumĂ€nien, Bulgarien). Die europĂ€ische Integration zeigt hier aber auch ihre guten Seiten, weil das frĂŒher „Fremde“ heute Teil des Alltags wird.

Ein paar Gedanken zur „Wirtschaftsmacht Heartland“: immer wieder wird auf den Ressourcenreichtum der eurasischen Landmasse hingewiesen. Dabei deuten die Apologeten der Heartland-Hypothese auf Regionen, welche besondere Vorkommen aufweisen
 ignorieren aber die FlĂ€chen und Distanzen dazwischen. Die gesamte Ressourcenargumentation beruht auf Potentialen, die nicht oder kaum erschlossen sind. Das Zarenreich kannte die Potentiale bereits, hat aber bereits bei der rudimentĂ€ren Verbindung seiner Regionen versagt. Der bescheidene Zustand der Transsibirischen hat sich schon 1905 im Krieg mit Japan als Hemmschuh erwiesen; regionalere Verbindungsnetze gabs nur im westlichen Teil des Landes. Die Bolschewiken haben sowohl das Potential als auch die Herausforderungen erkannt: die WirtschaftsplĂ€ne sollten diese Potentiale heben und dies war nur ĂŒber die Vernetzung der Regionen möglich. Insbesondere in der Eisenindustrie war das ersichtlich, hier mussten Eisenerzvorkommen und Kohlevorkommen vernetzt werden. Was dies bedeutete kann man an Magnetogorsk erkennen, die dortigen Eisenvorkommen sollten vor Ort verarbeitet werden, wozu Kohle aus dem Kusnezker Becken herangekarrt werden sollte
 1700 km Luftlinie. SpĂ€ter hat man den Kusbas mit Chakassien verbunden, wodurch Eisenerz nur noch 800 km weit transportiert werden musste. Die Entfernungen werden massiv unterschĂ€tzt, die geografischen und klimatischen Bedingungen, welche den Invest fĂŒr Infra massiv erhöhen werden ignoriert. Allein schon aus diesen praktischen GrĂŒnden war die Ukraine in der SU ein wichtiger Standort, dort lagen Eisen und Kohle deutlich nĂ€her, gleichzeitig hatte man Landwirtschaft und Menschen nahebei
 und konnte ĂŒber große FlĂŒsse transportieren und/oder Strom gewinnen. In Sibirien gab es kaum eine grundlegende Infrastruktur jenseits der Zentren am Ural (Jekaterienburg, Tscheljabinsk). Die SU konnte zumindest punktuell entwickeln, weil man weniger/gar nicht auf Wirtschaftlichkeit aus war und massiv auf „Sklavenarbeit“ in Form von Gulag-StrĂ€flingen und Komsomol-Aktivisten zurĂŒckgreifen konnte. Aber auch diese „Grundlagenarbeit“ macht die Ressourcen Sibiriens und des Fernen Ostens nicht „unschlagbar“, die TransportaufwĂ€nde sind einfach extrem. Eisen/Stahl aus Magnitogorsk mĂŒsste 3.500 km gefahren werden, um nach Berlin zu kommen, aus dem Kusbas sinds nochmal 2.000 km mehr. Per Bahn dauert das Wochen, erfordert mindestens einen Umschlag (breit- auf normalspur). Bei der Deutschen Bahn habe ich auf die Schnelle fĂŒr Schwerlast um die 230 Euro je Tonne und 1000 km gefunden. Geht man je Tonne von 200 Euro und 4000 km aus ist man bei 800 Euro je Tonne allein an Transportkosten. Soviel kostet die Tonne Baustahl in D derzeit
 also eine Verdoppelung des Preises. FĂŒr Öl und Gas ist der Transport weniger kostenintensiv, zumal die dafĂŒr erforderliche Infrastruktur unter sozialistischen Bedingungen geschaffen wurde
 und mithilfe aller RGW-Staaten.

Neben den Distanzen ist auch die Hydrografie Zentralasiens ein Problem: alle grĂ¶ĂŸeren FlĂŒsse entwĂ€ssern entweder ins Polarmeer oder „verschwinden“; Wasserwege in eisfreie Meere gibt es nicht. Große Wasserwege werden oft unterschĂ€tzt, sind aber fĂŒr den Transport von Rohstoffen und Halbfabrikaten eine extrem gĂŒnstige Alternative zu Bahn. Die Bedeutung der BinnengewĂ€sser bspw. FĂŒr die Entwicklung der USA und Kanadas wird sehr hĂ€ufig vernachlĂ€ssigt, dabei waren/sind die Großen Seen und das Mississippi-Netzwerk wichtige Transportwege. Gleiches gilt heute noch fĂŒr Elbe und Rhein. Auch China lebt stark von seinen Wasserwegen. Die Bedeutung von GewĂ€ssern war auch den Sowjets bewusst, weshalb diese etliche grĂ¶ĂŸenwahnsinnige Projekte auf Lager hatten, welche die Erschließung wahrscheinlich erleichtert hĂ€tten: Dawydow-Plan.

Dieser Plan diente auch zur BewĂ€sserung der Steppengebiete um Aralsee und Kaspisches Meer fĂŒr die Landwirtschaft. Die agrarische Erschließung Zentralasien war ein Ziel stalinistisch/sowjetischer PlĂ€ne, welche einerseits bereits vor dem WK2 entstanden, nach den Verheerungen im Westen der SU aber umso mehr Dringlichkeit erhielten (Chrustchov hatte da auch viel vor). Die Potentiale sind/waren vorhanden, mit dem sibirischen Wasser wĂ€re da auch mehr gegangen, aber es war mal wieder typisch russisch: die ersten Wellen „Neusiedler“ waren Deportierte, tlw. Überlebende der Hungersnöte unter Stalin, Wolgadeutsche, etc. Diese wurden in die Steppe verfrachtet, ohne Material, Saatgut etcpp. Selbst wenn man dort ÜberschĂŒsse erwirtschaftet hat man wieder das Transportproblem, da die Konsumenten tausende Kilometer weit weg leben
 was die Kosten fĂŒr diese Rohstoffe in die Höhe treibt.

Insgesamt haben die Apologeten des Pivots nie verstanden, dass mit Logistik alles steht und fĂ€llt
 und derzeit ist wasserbasierte Logistik einfach unschlagbar billig
dazu kommt, dass innerhalb weniger hundert Kilometer von den MeereskĂŒsten entfernt große Teile der Weltbevölkerung leben. Damit ist der Zugang von See derzeit effizienter als alle landbasierten Transportwege. FĂŒr Massentransport gibt’s nix besseres als ein Schiff.


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xena
Beitrag 20. Dec 2024, 16:15 | Beitrag #77
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ZITAT(Marcus Marius @ 13. Dec 2024, 16:46) *
Ein wenig rassistisch und chauvinistisch, findest du nicht?

Ach, im Grunde hat er schon recht. Es gibt so Dinge die irgend wie symbolisch fĂŒr verschiedene Kulturen/Gesellschaften sind. Schlechtes Essen gibt es tendenziell eher im Norden von Deutschland, besseres tendenziell eher im SĂŒden Deutschlands. Das sagt nichts darĂŒber aus, dass es auch in Hamburg Sterneköche gibt, aber die Masse des Volkes kocht im Norden nicht so kulinarisch wie im SĂŒden. Tendenziell wird in GroßstĂ€dten besser gekleidet als auf dem Land. Aber es gibt die Tendenz, dass man im SĂŒden Europas und Frankreich eher auf Kleiderordnung achtet als im Norden. Das sagt aber auch nichts aus, dass es auch im Norden Schichten und Szenen gibt, die auf Kleidung achten, aber tendenziell im Landesdurchschnitt eher weniger. Es gibt auch Gesellschaften die tendenziell manierlicher sind als andere. Im Norden eher weniger als im SĂŒden.

Allerdings ist das mit den Manieren auch kulturell unterschiedlich was man als manierlich betrachtet. Aber im Norden stört man sich an viel weniger als im SĂŒden, von daher dĂŒrfte in unserem Kulturkreis der SĂŒden dahingehend besser abschneiden. Die Russen gelten bei Italiener als Barbaren schlechthin. Das bekommen auch viele Deutsche, tendenziell eher nördliche, ab. Die, die das abbekommen empfinden sich als fröhliche Gesellschaft und verstehen das ganz und gar nicht. Nur sollte die Fröhlichkeit andere nicht stören. So empfindet man im SĂŒden. Saufen ist im Norden eher gesellschaftlich akzeptiert als im SĂŒden. Das mag im Norden lustig sein, im SĂŒden ist es ein Unding öffentlich betrunken zu sein.

Es gibt nun mal Unterschiede und diese zu verneinen und als chauvenistisch abzutun hilft ĂŒberhaupt nicht. Man muss nicht alles krampfhaft als gleichwertig in eine Norm hinein pressen, wie man es hierzulande sehr gerne macht. Mensch ist nun mal unterschiedlich, was nicht schlecht sein muss, eher im Gegenteil. Das macht das Leben und andere Kulturen kennen zu lernen ja erst interessant.


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Delta
Beitrag 20. Dec 2024, 17:01 | Beitrag #78
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Ich hab in Stuttgart, Köln, Berlin, Hamburg, Dresden, Aachen, KĂŒlsheim, Dillingen (Donau), Strausberg, Stadtallendorf, Prenzlau mindestens nen halbes Jahr gelebt: Wovon sprichst du?

Es gibt regionale Unterschiede und die meisten Gegenden bringen auch einen eigenen Schlag Menschen prominent hervor. Aber das sind meist auch keine Mehrheiten mehr und mit Kulinarik (Labskaus vs. Kutteln?) und Manieren hat das am wenigsten zu tun. Und ich kann bei mir auch nur anekdotische Evidenz reklamieren.


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Limitless are the ways of mankind in its virulent capacities
Ironic it may seem, for us a chance exists to see
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Elbroewer
Beitrag 20. Dec 2024, 20:42 | Beitrag #79
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Ich bin aus der Magdeburger Gegend. Eisbein, bei uns auch Bötel genannt, ist bei uns weit verbreitet. Bei uns ist die KĂŒche deftig. Und das finde ich gut. Aber eine vernĂŒnftige Haxe kriegst du bei uns auch entweder am Broiler- (HĂ€hnchen-)Stand oder aber in Magdeburg in der Tucherstube, wo es frĂ€nkische SpezialitĂ€ten gibt, im Bayrischen Krug, dem Vereinslokal meiner RK oder aber noch in einer dritten LokalitĂ€t, deren Name mir gerade nicht einfĂ€llt. Es ist doch heute ĂŒberhaupt kein Problem mehr, international oder was man dafĂŒr hĂ€lt, zu kochen oder entsprechend Essen zu gehen. Döner ist ein Nationalgericht geworden. Und was die Menschen angeht: Als ich in Sonthofen auf dem ABC/Se-Feldwebellehrgang war, stand hinter der Thekeeiner aus einem Nachbardorf meiner Stadt. Es ist doch schon gut durchmischt. Ich bin beim Bund durch die LehrgĂ€nge gut rumgekommen und immer gut klargekommen. Das lokale Schwarzbier habe ich immer gekostet und auch versucht, kulturell was mitzunehmen.
 
goschi
Beitrag 20. Dec 2024, 20:51 | Beitrag #80
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bitte jetzt keine Diskussion ĂŒber das Essen und dessen QualitĂ€t an verschiedenen orten in Deutschland, das Thema des Threads dĂŒrfte klar sein.

Wollt ihr ĂŒber Essen reden, im Allgemeinen Forum gibt es threads oder man darf auch neue aufmachen, merci smile.gif


goschi (admin)


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Wer zum Denken nachdenkseiten braucht, denkt auch, dass ihm ihm die Tankkarte das tanken abnimmt.

Qui tacet, consentire videtur
ZITAT(Forodir @ 31. May 2023, 20:26) *
Dass die Russen viele Verluste haben aufgrund ihrer offensiven Vorgehensweise, die sie sich bei Zapp Brannigan abgeschaut haben, ist davon unbenommen.
 
 
 

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