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Die Dicke aus MecklenburgVon Hasnain KazimKaum zu glauben, dass Schiffsschrauben so geheim sein müssen. Und kaum zu glauben, dass der Weltmarktführer für die Propeller aus Waren an der Müritz kommt. Von dort ist jetzt die schwerste je gegossene Schraube ausgeliefert worden.
Waren an der Müritz - Wie Skulpturen liegen die metallenen Kolosse auf dem Hof der Mecklenburger Metallguss GmbH, vor der Gießerei, vor dem Verwaltungsgebäude, überall, wo eben noch Platz ist. Die Auftragsbücher des Unternehmens sind voll, Bestellungen kommen von asiatischen Werften, aber auch von europäischen. 80 Prozent gehen in den Export, Schiffshersteller in China und Südkorea gehören zu den Großkunden der Mecklenburger. Und so ist Platz rar auf dem Firmengelände.
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Bis 2008 habe man genug Arbeit, sagt ein Handwerker in lederner Schürze. Weil die Schifffahrt weltweit boomt, hat man auch in Waren an der Müritz alle Hände voll zu tun - ein Glücksfall für ein Land wie Mecklenburg-Vorpommern, wo jeder Fünfte ohne Job ist. Im Flur des Verwaltungsgebäudes hängen Urkunden, vom \"Unternehmen des Jahres in Mecklenburg-Vorpommern\" ist da die Rede. Rund 160 Menschen arbeiten bei der MMG.
Antrieb für das weltgrößte Containerschiff
Besonders stolz sind sie auf die \"Dicke\", wie manche sie nennen: 9,60 Meter Durchmesser von Flügelspitze zu Flügelspitze, 131 Tonnen Gewicht, die bisher schwerste Schiffsschraube aller Zeiten. \"Es gibt keine Schraube, die eine solch große Antriebsleistung hat\", sagt Manfred Urban, einer der zwei MMG-Geschäftsführer.
Wofür eine solche Schraube benötigt werde? \"Für ein Containerschiff, das es in dieser Größe und dieser Art noch nicht gegeben hat.\"
Kaum hat der Diplom-Ingenieur Urban das ausgesprochen, sieht man ihm sein Unwohlsein an. Einen \"vielseitigen Vertrag\" gebe es da nämlich auf Wunsch des Auftraggebers, sagt er. Und der verbiete ihm, zu viel zu plaudern. Vor allem darüber, wer der Käufer der \"Dicken\" ist. Dass der aus Europa komme, verrät Urban dann doch. Weshalb die Geheimniskrämerei? Das Riesenschiff, erklärt er, sei ein Wettbewerbsvorteil, von dem die Konkurrenten so spät wie möglich erfahren sollten.
Über die vier Schrauben, die sich am Heck der \"Queen Mary 2\" drehen und die Reichen dieser Welt über die Meere schieben, redet Urban dagegen gern. Die stammen nämlich ebenfalls allesamt aus der Mecklenburger Gießerei. Er ärgert sich nur über die Berichte, die vor zwei Wochen über die pannenreiche Fahrt des Schiffes erschienen, bei der alle 1500 Passagiere die Reisekosten erstattet erhielten. Darin hieß es, Grund für die Pannen seien Propellerschäden. \"Das lag wohl an der Ruderanlage oder was weiß ich, aber nicht an den Propellern\", beteuert dagegen Urban.
Und dann redet er doch lieber über die \"Dicke\".
Stahlschrott und alte Lire-Münzen verwertet
Unverfängliche Daten zum Beispiel. Nämlich dass sie aus 79 Prozent Kupfer, neun Prozent Aluminium, sechs Prozent Nickel, fünf Prozent Eisen und einem Prozent Mangan bestehe. Dass man bei so vielen Tonnen Metallbedarf alles zusammenkaufe, um es einzuschmelzen: abgewrackte Schiffe, Euro-Fehlprägungen, sonstigen Schrott. \"Kürzlich bekamen wir säckeweise Lire-Münzen aus Italien\", sagt Urban. Dass die Schiffsschraube sich bis zu 150.000 Mal am Tag drehen würde, wenn sie das Schiff über die Weltmeere vorantreibe, und das im idealen Fall 25 Jahre lang. Dass das neue Schiff \"deutlich mehr PS als die bisherigen Riesen\" haben werde. Von 120.000 PS ist in der Branche die Rede.
Und die Kosten für den Propeller? \"Dazu kann ich nichts sagen\", sagt Urban, weil wohl auch das in dem Schweigevertrag steht. \"Sie könnten sich für die Summe aber ein sehr luxuriöses Haus kaufen.\" Also ein siebenstelliger Betrag? Urban ringt sich zu einer Aussage durch: \"Nein, im hohen sechsstelligen Bereich.\"
Über ein Jahr lang haben die Metallguss-Mitarbeiter an dem goldglänzenden Teil gewerkelt. Wochenlang rechneten die Ingenieure am Computer, fertigten Konstruktionszeichnungen und ein Modell im Maßstab eins zu dreißig an, besprachen sich etliche Male mit dem Auftraggeber. Wie groß wird das neue Schiff? Wie stark sind die Motoren? Wie schnell soll es fahren? All die Fragen, über die Urban jetzt nicht reden darf.
Dann wurde tonnenweise Metall in riesigen Öfen eingeschmolzen. Aus der 1200 Grad Celsius heißen Flüssigkeit gossen Arbeiter den Propeller - in einem Stück. Etwa 130 Mal im Jahr machen sie das, nur eben noch nie mit so viel Metall auf einmal. Zwei Wochen kühlte die Schraube in der Sandform ab, drei Wochen lang wurde anschließend gefräst und geschliffen, per Maschine und von Hand. Mehr als das sollte eigentlich niemand erfahren.
Dumm nur, dass sich schon der Transport der Schraube nicht geheim halten ließ. Die Öffentlichkeit interessierte sich sofort dafür, wie so ein Ding per Lastwagen rund 110 Kilometer von Waren nach Rostock transportiert wird, zumal dafür Straßen gesperrt und Ampeln und Verkehrsschilder abgebaut werden mussten.
Ab Sommer auf den Weltmeeren unterwegs
Weil sogar uralte Bäume abgeholzt wurden, damit der Transporter mit dem 14-achsigen Anhänger und dem quer darauf liegenden Propeller durch die Straßen passt, schlugen die Wellen hoch. Die Grünen und Naturschützer protestierten. Andere, die den Schiffsschrauben-Weltmarktführer als Arbeitgeber und die ohnehin schlechte Arbeitssituation im Land im Sinn hatten, sagten, die Bäume seien alt gewesen und daher biologisch sowieso am Ende. Der Warener Landrat Jürgen Seidel, der CDU-Chef von Mecklenburg-Vorpommern ist und Ministerpräsident werden möchte, will im Gespräch mit den Einwohnern die Wogen glätten.
Inzwischen ist der Riese mit den sechs Flügeln trotz allem auf Reisen. Am späten Montag verließ er seinen Geburtsort. Ein Kran lud ihn auf einen Schwerlast-Lkw, in sechs Stunden ging es teils im Schritttempo bis nach Warnemünde, kurz hinter Rostock.
Am späten Dienstag soll Schwertransportfahrer Jörg Mehlhase ihn durch die Warnemünder Innenstadt bis zum Hafen bugsieren. In der Schiffsbranche heißt es, der Propeller werde von dort aus zur dänischen Werft in Odense verschifft. Diese Werft gehört zur dänischen Reederei Maersk, deren Containerschiffe mit knapp 370 Metern Länge und 100.000 PS schon jetzt zu den größten der Welt zählen. Zu Plänen über noch größere Meeresgiganten will sich Maersk aber nicht äußern. \"Tut mir leid, darüber darf ich nichts sagen\", sagt ein Sprecher in Kopenhagen.
Eines verrät MMG-Geschäftsführer Urban am Ende doch: Der neue, angeblich Maßstäbe setzende Frachter läuft im Juni vom Stapel. \"Ich schätze, ab August wird er dann in Dienst gestellt.\" Die Schraube von Waren an der Müritz wird dann dafür sorgen, dass Produkte von einem Ende der Welt ans andere gelangen.
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