ZITAT(Kameratt @ 26. Nov 2014, 11:28)
Angebliche ukrainische Anfrage nach Militärhilfe der USA, die auf einer Hacker-Plattform veröffentlicht wurde.
Hast Du eine Quelle für die Dateien, bzw. woher hast Du die?
Ich halte sie spontan für einen Fake. Einige der Einträge scheinen mir extrem dubios zu sein und die Zahlen stehen in keinen für mich sinnvollen Verhältnis zueinander. Außerdem würde ich erwarten, dass ein Antrag auf Militärhilfe in der Sprache desjenigen Landes gestellt wird, dessen Hilfe man erbittet. Ich kann mich da aber irren, vielleicht läuft es in diplomatischen Kreisen ja anders als bei internationalen Beziehungen in Wirtschaft und Forschung.
Bei den Unregelmäßigkeiten, die mir inhaltlich aufgefallen sind, liste ich nur die auffälligsten Punkte. Ich hab keine Zeit alles einzeln durchzugehen, aber manches hier ist einfach zu offensichtlich.
Auf der ersten Seite fordert man anscheinend 200.000 Schuss Munition Kaliber 5,56 x 45 mm NATO an. Dazu 150.000 Schuss 7,62 x 51 mm NATO. Beides ist wohl gedacht für die jeweils 1.000 SCAR-L und SCAR-H. Ersteinmal ist die Frage, warum sich ukrainische Truppen in den Augen ihrer Regierung mit westlichen Produkten belasten sollten. Logistisch ist das dumm. Außerdem sind 2.000 Gewehre jetzt nicht gerade viel, aber vor allem sind 350.000 Schuss Munition dafür lächerlich. Das sind keine 100 Schuss pro Gewehr, also etwa ein ernstzunehmendes Scharmützel.
Der nächste Punkt, der ins Auge sticht sind die 100 Gewehre "APR 338" und die 100.000 Schuss Munition im Kaliber "8,58 x 70 mm NATO". Das Kaliber kennt man für gewöhnlich unter der Bezeichnung .338 Lapua Magnumund es handelt sich nicht um ein NATO-standardisiertes Kaliber meines Wissens. Warum man ausgerechnet in den USA nach dem APR 338 fragen sollte, weiß ich nicht. Die Waffe kommt von Brügger & Thomet und damit aus der Schweiz. Für die EM 2012 hatte die Ukraine davon einige (Kaliber .308 und .338) angeschafft, zum Einsatz kamen sie jedoch erst gegen die Maidan-Demonstranten (Sonntagszeitung:
http://www.sonntagszeitung.ch/home/artikel.../?newsid=276383). Ob es in den USA davon Exemplare gibt, weiß ich nicht, aber die US-Regierung wird davon bestenfalls für Beschusstests angeschafft haben, offiziell getestet wurde die Waffe dort nicht. Insgesamt wird es in der Ukraine wohl mehr davon geben als in den USA, selbst nachdem Berkut vielleicht einige bei der Desertierung mitgenommen hat. Am ehesten könnten Rumänien und Luxemburg die Ukraine damit beliefern, oder eben der schweizer Hersteller.
Während man bei Sturmgewehren und Munition spart, gibt das Dokument bei Granatwerfern und Mörsern eine hohe Anzahl an. Neben "Commando Granatwerfern" in kleiner Zahl, will man auch M252 und M120 haben, allerdings mit besserem Munitionsverhältnis als man es wohl bei Gewehren braucht (1:500 statt 1:100). Mit je 100 Schuss will man außerdem den MGL-140 kaufen, der ähnlich wie das SCAR in den USA nur begrenzt (USMC, USSOCOM) eingesetzt wird. Da dürfte es schwer fallen 720 davon zu verkaufen, es wären gut 1/4 des Bestandes. Auch der Hersteller würde sich wohl schwer tun, Südafrikas Produktionskapazitäten kenne ich nicht wirklich, aber 720 sind nicht wenig für kleinere Firmen. Vietnam hat aber eine Lizenz, vielleicht fragt man da mal nach.
Kurios wird es dann bei den folgenden Einträgen. Während man bislang extrem spezifische Anforderungen hatte, in denen wahlweise US-interne Bezeichnungen verwendet wurden oder auch sehr spezifisches Equipment aus dem Bereich der Spezialkräfte gefordert wurde, geht man nur dazu über sehr unspezifisch zu werden ("Stinger", "MRAP") oder schlichtweg unsinnige Bezeichnungen zu verwenden, wie "HUMMER" (die seit 2010 nicht mehr gebaute zivile Variante des HMMWV) oder "Javelin (TOW II)", wobei hier zwei völlig unterschiedliche Systeme genannt werden und es "TOW 2" und nicht "TOW II" heißt.
Ich kann auf den nächsten Seiten nicht viel lesen, aber die Unterschriften und Siegel auf den letzten Seiten sehen sehr seltsam aus. Zunächst die Unterschrift der amerikanischen Vertreterin, anscheinend eine gewisse "Cynthia Matuskevich". Diese scheint mir ein Profil bei LinkedIn zu haben (Link:
https://www.linkedin.com/pub/cynthia-matuskevich/26/3a6/478) und war ODC-Chef (im Range eines Lieutenant Colonels) in Vilnius bis 2013, dort wurde sie im gelichen Jahr vom Verteidigungsminister Litauens augezeichnet (Lithuanian Tribune:
http://www.lithuaniatribune.com/40960/defe...ania-201340960/). Ich würde erwarten, dass größere Verträge vom örtlichen, ukrainischen Chef gegengezeichnet werden. Das Office of Defense Cooperationin Kiew leitet aber LTC Tracey D. Rueschhoff (ODC-Link:
http://ukraine.usembassy.gov/odc.html; http://ukraine.usembassy.gov/events/milita...imferopol.html). Derweil ist LTC
Cynthia A. Matuskevich wohl wieder in den USA.
Der unterzeichnende Ukrainer "L. S. Golopatyuk" (Transliteration?) ist dem Internet besser bekannt, er war 2006 Generalmajor der Ukrainischen Armee und für die NATO-Verbindungen zuständig (russischer Artikel:
http://news.liga.net/news/politics/283263-...hem-nekotor.htm). Außerdem ist er Absolvent der Naval Postgraduate School, wo er 1998 eine MA-Thesis über "Ukraine's security option in the new Europe" schrieb. Das PDF dazu ist leider im Link mit einem Werk über "Computer Modeling of Captive-Carry Missile" eines Brasilianers vertauscht worden.
Der letzte genannte Unterzeichner ist ein gewisser Michael J. McCarthy, der "Country Program Director" sein soll, vermutlich der darunter genannten "Defense Security Cooperation Agency" (Wiki:
http://en.wikipedia.org/wiki/Defense_Secur...peration_Agency). Dabei handelt es sich um eine Behörde unterhalb des Verteidigungsministeriums, die Rüstungsgüter und Ausbildung daran verkauft. Es erscheint daher wahrscheinlich, dass McCarthy eigentlich Soldat sein sollte oder hoher ziviler Angestellter, um Direktor des Ukraine-Programms sein zu können. Ich kenne nur einen Michael J. McCarthy in höherer Funktion in den USA, der diese Anforderungen erfüllt hätte, er war Generalmajor der Luftwaffe und wurde 2000 pensioniert (Biographie bei der Air Force:
http://www.af.mil/AboutUs/Biographies/Disp...j-mccarthy.aspx), müsste also jetzt schon jenseits des üblichen Alters für Verwendungen in einem regulären Programm des Verteidigungsministeriums sein. Die USA setzen solche Pensionäre manchmal für Sondermissionen ein (wie andere Nationen auch), aber man vermeidet allgemein Pensionäre auf reguläre Posten zu setzen, das verhindert nur den Aufstieg junger Kräfte.
Glücklicherweise ist das Schreiben des "Letters of Request" an die Defense Security Cooperation Agency, also der erste Antrag einer Nation an die USA für eine Rüstungslieferung in seinem Verfahren sehr transparent: Man schreibt einen Brief oder eine Email via die jeweilige Botschaft an die jeweilige Dienststelle im Verteidigungsministerium und der Brieg "should also be as specific as possible so that the DoD knows exactly what the customer is requesting". Diese Genauigkeit beeinhält möglichst die Seriennummern, die in den USA für Equipment verwendet werden. Damit erübrigt sich auch die Frage nach der Sprache, die so ein Antrag haben sollte und, ob man z.B. eine APR 338 bekäme.
http://www.disa.mil/Services/Enterprise-En...-Military-Saleshttp://lmdefense.com/fms-how-to-lors-pas-and-loas/http://www.disam.dsca.mil/documents/greenb.../05_Chapter.pdfhttp://www.disam.dsca.mil/pages/pubs/greenbook.aspxDamit komme ich zur Sprache in dem englischen Teil der Scans, der letzten Seite. Das ganze firmiert unter "United States of America, Letter of Notification, Presidential Drawdown". Daneben das Siegel des Department of Defense. Der Begriff "Presidential Drawdown" ist verwirrend, denn ein "drawdown" ist zunächst eine Absenkung, kann im Finanzjargon auch eine Inanspruchnahme von Krediten, also ein "Abführen" von Geld bedeuten. Im diplomatischen Jargon der Militärhilfe heißt es aber:
ZITAT
Drawdowns are different from normal Security Assistance procedures, and very important tools for furthering U.S. foreign policy objectives. Key players in the drawdown process are the Country Program/Financial Directors, as well as other personnel within DSCA.
A drawdown is one of the very unique times when the Commander-in-Chief, placing full trust and confidence in you, empowers you to effect a change in international relations. Although the drawdown of Department of Defense articles, services and training is generally coordinated through existing Security Assistance channels using the basic policies and guidelines already in-place, usually, time is of the essence. Drawdowns do not occur that often and as a result we fully recognize that you need help in wading through this sometimes-mysterious world.
This handbook is a guide for you and other Defense Security Cooperation Agency (DSCA) personnel who become involved in the planning and execution of drawdowns. It is not intended to serve as a regulation, and consequently should not be construed as one. That said, this guide builds upon two earlier editions and contains the wisdom of some of the best and brightest professionals in the Security Cooperation Community.
(Link: http://www.dsca.mil/sites/default/files/dr...book_2004b.pdf)Es handelt sich bei einem "Drawdown" also wohl um eine spezielle Form der militärischen Unterstützung und Rüstungslieferung, die dem Präsidenten erlauben auf unvorhergesehene Notfälle zu reagieren ohne legislative und budgetrechtliche Überwachung und Protokolle beachten zu müssen (obiges Dokument S. 6). Aber ist die Seite ein Scan eines "Presidential Drawdown"?
Ganz klar nein. Ein solcher "Drawdown" wird im Rahmen eines Memorandums verkündet und hat eine bestimmte Form, in der keine explizite Ausrüstung genannt wird, sondern die Summe eines Betrages für die Militärhilfe. Außerdem geschieht all dies unter der Ägide des Präsidenten, nicht des Verteidigungsministeriums und wird veröffentlicht, auch im Internet. Das entsprechende Memorandum für Mali vom August 2014 kann man
hier einsehen. Und das für die Ukraine vom September 2014
hier. Es gibt also ein solches Drawdown, aber darin wird nicht die Ausrüstung genannt, die mit der Hilfe von der Ukraine gekauft werden kann. Denn für diese Ausrüstung bräuchte man noch immer eine spezifische Anforderung in Form eines Letter of Request. Das Drawdown scheint nur die Mittel für den Kauf bereitzustellen, weshalb es einen Weg an Legislative und Budget-Kontrollen vorbei darstellt. Das macht auch den Rechnungsbetrag auf der Seite unsinnig. Die Kosten für die Ukraine wären voll im Sinne der ausgehandelten Beträge zu zahlen, aber sie würden von der Summe aus dem Drawdown beglichen. Ein Presidential Drawdown ist daher auch kein "term of transfer" sondern eine Geldquelle.
Weiter unten im Text gibt es dann noch einige Unregelmäßigkeiten. So etwa die Phrase "This Letter of Notification is intended to inform appropriate officials of the Government of the Ukraine of the delivery of three (3) LCMRs [...]". Wenn dem Antrag auf Militärhilfe stattgegeben wurde, ist die Antwort ein "A Letter of Offer and Acceptance":
"The LOA represents a bona fide offer by the USG to sell the described items identified in the document. The LOA becomes an agreement when the customer accepts (signs) it and provides the initial deposit payment specified in the LOA. While P&A and LOA data are both estimates, an LOA is developed based on the customer’s specific requirements and contains the most precise data available at the time the document is prepared." (http://lmdefense.com/fms-how-to-lors-pas-and-loas/)
Eein Letter of Notification gibt es nicht und man müsste auch die "Offiziellen" nicht benachrichtigen, dass drei Radargeräte geliefert werden. Ein LOA ist unterschrieben vom Empfänger ein Vertrag. Phrasen wie "die entsprechenden Offiziellen der Regierung" sind auch so unspezifisch, dass man sie kaum in Kommunikationsprozessen auf Ministerialebene vermuten kann. Solche Informationen gehören in Briefköpfe und Anschreiben. Mit Namen des Empfängers, z.B. des Verteidigungsministers oder seines Generals für Materialbeschaffung. Welche drei Geräte geliefert werden ist dabei unerheblich, solcherlei Details gehören bestenfalls in den Lieferschein oder sein Äquivalent. Das übermäßige Anzeigen von Details suggeriert aber in Fälschungen oft Authentizität gegenüber Unwissenden. So ist es auch mit dem Preis. Der "geschätzte Wert pro Stück" ist a) eine sehr genaue Schätzung und b) irrelevant, weil der LOA zwar theoretisch nachverhandelt werden kann, aber wenn die Ware schon geliefert wurde, zählt nur die Gesamtsumme. Und ja, der Empfänger muss unterschreiben, sonst gibt es keinen Kaufvertrag.
Last but not least: Die Datumsangabe "14 Nov 2014" ist ein Klassiker unter den Fehlern von Dokumentenfälschung. Während die oben offene "4" noch regulär im amerikanischen vorkommt, wird der Monat vor den Tag gesetzt, nicht wie in Europa dahinter.
Insgesamt wirken die Scans auf mich sehr uneinheitlich und so als ob es sich um verschiedene Dokumente handle. Einige Informationen sind widersprüchlich und entsprechen nicht dem Protokoll oder sind schlichtweg unwahrscheinlich (Datum, Phrasierung). Die Tatsache, dass all die Anforderungen nicht auf Englisch geschrieben wurden, erscheint mir für einen tatsächlichen Vorgang entsprechende der US-Regularien sehr unwahrscheinlich. Die angeforderten Ausrüstungsgegenstände sind in seltsamem Verhältnis zueinander, es handelt sich manchmal um Gegenstände, die in anderer Zahl bereits geliefert wurden (Radar, Nachtsichtgeräte) oder nicht geliefert werden könnten (APR 338). Insgesamt wirkt das an manchen Stellen wie eine Einkaufsliste aus feuchten Träumen von Gunnerds, die aber keine Ahnung haben von a) den Bedürfnissen einer Truppe und b) korrekten Nomenklaturen. Vom Protokoll ganz zu schweigen. Die genannten Akteure sind dabei wohl tatsächliche Personen, aber nicht immer diejenigen, die man erwarten würde. Was macht die ehemalige ODC-Chefin von Litauen und ein ominöser "Programmdirektor" in diesem Vorgang, wenn es sich um eine Aufgabe des Verteidigungsministeriums via Botschaft handelt?
Vor allem aber die "Letter of Notification" wirkt unecht. Ich kenne micht nicht aus mit den Prozessen von Waffenlieferungen aus den USA, aber die Transparenz des Verfahrens und die öffentliche Verfügbarkeit von "how-tos" wirkt als müssten Ergebnisse dieses Prozederes völlig anders aussehen. Dazu kommen noch einige Fehler in der Platzierung von Siegeln, dem Schreiben von Daten und die seltsamen Namen, die nicht zu aktuellen Akteuren passen. Ich halte das ganze für die Fälschung von Leuten, die grundlegendes Wissen zum Thema Waffen und internationalen Lieferungen haben, aber keinerlei spezifisches prozessuales Wissen. Vor allem suggerieren aber Phrasen wie "der Sinn des Briefes ist es dem Empfängerkreis mitzuteilen, dass sie folgendes erhalten" absolut unglaubwürdig und entspricht nicht der Art wie Behörden miteinander kommunizieren. Ich halte daher alle Scans für Fälschungen.