@Crazy Butcher
Ich kann mich dieser Argumentation nicht anschließen. Wenn ich mich unbewaffnet und im Recht einem bewaffneten Aggressor nähere, dann mag ich vielleicht im Sinne der Kausalität faktische Verantwortung dafür tragen, wenn die mich niederballern — ich hätte mich ja fernhalten können —, bin aber moralisch fein raus. Meiner Ansicht nach laufen gegenteilige Ansichten auf die simplifizierende Floskel "Wer sich in Gefahr begibt..." hinaus. Wenn da ein paar Hanseln Schiss hatten und zur Kompensation ihrer Angst irgendwelche Parolen gebrüllt haben, ist das doch völlig egal.
ZITAT(Bullet_Tooth @ 9. Mar 2014, 19:46)
Was sagt ist eigentlich
hiervon zu halten? Bzw. wie denkt das Forum über diesen Kerl?
Wenn man dem glauben kann geht es, genauso wie in Syrien, nur um Rohstoffe...? Ich bin da doch etwas skeptisch aber mich interessiert eure Meinung.
Grüße
Bullet Tooth
All diese simplifizierenden Theorien fußen auf der in sich irrigen Annahme, dass Mächtige, die in kürzester Zeit ein stabiles Umfeld zum Einfahren ihrer Erträge benötigen, auf Mittel setzen, die sowohl logisch als auch historisch verbürgt fast zwangsläufig zu langfristiger Instabilität bis an den Rande der Anarchie führen und damit den Ertrag zunichtemachen. Vor diesem Hintergrund ist auch sehr bezeichnend, dass all die Kriege der vergangenen zwei Jahrzehnte, die angeblich um Rohstoffe geführt wurden, stets dazu führten — wenn es überhaupt zu einer Ausbeutung von Bodenschätzen kam —, dass unbeteiligte Dritte daran verdienten, nicht etwa die kriegführenden Parteien.
In Lybien spielen französische und britische Firmen zwar nun eine größere Rolle bei der Ölförderung als zuvor, demgegenüber stehen aber die Aufwendungen der Alliierten, die leer ausgingen.
Im Irak dominieren heute russische und chinesische Unternehmen; in Afghanistan sind sogar nahezu alle Bodenschätze heute in chinesischer Hand.
Man mag mir in dieser Hinsicht entgegenhalten, dass der Status Quo nicht die Absichten belege, die ihn geschaffen haben, oder dass die Akteure eben historische Fehler wiederholt hätten. Persönlich halte ich diese Sichtweise für allzu stark vereinfachend.
Ich nehme an, dass der Ukraine–Konflikt sich für die ausländischen Mitspieler eher um idelle Werte dreht — mit Ausnahme der russischen Marinebasis in Sewastopol, die für Moskau einen nicht von der Hand zu weisenden strategischen Aktivposten darstellt.
Für Russland geht es vor allem ums Prestige; der Kreml kann keine prowestliche Regierung in seinem Hinterhof dulden, umso weniger eine, die durch Revolution an die Macht kam. Putin wird die Proteste gegen seine Herrschaft, die wesentlich umfassender waren als von den Staatsmedien dargestellt, nicht vergessen haben; zumal die relative Stabilität Russlands und seiner Grenzen, die ihm sogar seine Kritiker widerwillig zugutehalten, ihm eine Legitimation verleiht, die zu verlieren er sich nicht leisten kann. Man sollte auch nicht vergessen, dass hier ein Präsident agiert, der den Untergang der Sowjetunion als größte Katastrophe des vergangenen Jahrhunderts bezeichnet hat; viele Russen denken ähnlich. Russland kann deshalb auf Symbolpolitik Wert legen, die uns gar nicht in den Sinn kommt.
Für die EU geht es darum, ihr Profil zu schärfen, allerdings weniger gegenüber Russland, als vielmehr gegenüber allen Mächten. Handlungsfähigkeit und Expansionswillen sollen gegenüber dem außereuropäischen Ausland die Krise in den Hintergrund treten lassen. Die Macht der Bilder sollte nicht unterschätzt werden: Die EU hatte praktisch kaum noch eine Wahl, sich nicht gegen die russische Seite zu stellen, nachdem prowestliche Demonstranten mit Europafahnen in den Händen niedergeknüppelt worden waren. Was in Europa mit höflichem Desinteresse aufgenommen wurde, hat z.B. in China derben Hohn ausgelöst.
Dass Brüssel sich der von Moskau unterstellten Methoden bedient haben, den Konflikt gar losgetreten haben soll, halte ich freilich für absolut abwegig. Die Trägheit der EU bei ihrer Reaktion auf die Krim–Krise zeigt meines Erachtens nach doch sehr deutlich, dass sie zu irgendeiner aggressiven Politik gar nicht in der Lage ist. Im Übrigen legt die wirtschaftliche Abhängigkeit der EU von russischem Gas kein Interesse an einem Konflikt mit dem Kreml nahe. Es ist nämlich ein Trugschluss, dass die wirtschaftlichen Einbußen Putin davon abhalten würden, uns den Gashahn zuzudrehen.
Auch die USA haben nach meinem Dafürhalten nicht das unterstellte Interesse daran, eine Konfrontation herbeizuführen. Die Obama–Administration will sich um Europa (und um die islamische Welt) nicht mehr kümmern müssen, sowohl ideologisch als auch inhaltlich, ersichtlich bspw. anhand von Umstruktierungen im State Department, richtet sich Washington völlig auf den pazifischen Raum als neuer Spielweise aus. Wie Obama eine Neuauflage des Kalten Kriegs dabei in den Kram passen sollte, erschließt sich mir nicht. Im Übrigen war "Demokratie-Export" die Domäne seines republikanischen Vorgängers, nicht die Obamas. Deswegen gehe ich davon aus, dass Amerika ebenso wenig von Anfang an involviert war, sondern erst aktiv wurde, nachdem die Republikaner für ihren Wahlkampf (Kongresswahlen im November) die Frage entdeckt hatten, was aufrechte Amerikaner eigentlich davon halten sollen, dass eine prorussische Regierung prodemokratische Proteste niederwalzen lässt. Dergleichen unkommentiert zu lassen, gehört spätestens seit 9/11 nicht mehr zum amerikanischen Selbstverständnis.
Heute hörte man vom Gazprom–Gerd, dass die EU eine Mitschuld an dem Konflikt trage, da sie eine zu aggressive Expansionspolitik betrieben habe. Solche "Erkenntnisse" sind meiner Ansicht nach nur dann etwas wert, wenn man sich für oder gegen Realpolitik entscheidet, aber nicht ein Mischmasch betreibt. Denn es bleibt dabei, dass in allen zivilisierten Rechtssystemen Provokation für die Gegenseite höchstens einen strafmildernden Umstand darstellt, jedoch niemals eine vollumfängliche Rechtfertigung — und das ist auch sehr gut so. So lautet schließlich auch mein Fazit: Durch ihr unbedachtes Vorgehen haben die europäischen Staaten den Konflikt in der Ukraine heraufbeschworen, indem sie sowohl die russischen Befindlichkeiten als auch die Stimmung innerhalb der Ukraine außer Acht ließen. Die faktische und moralische Verantwortung für die folgende Eskalation liegt jedoch, so bin ich überzeugt, bei Wladimir Putin.
Mir persönlich macht es Angst, welch krude Ansichten in dieser Sache offenbar durch Deutschland geistern, und in seltener Einmütigkeit vor allem rechts– und linksaußen. Da bejubeln sogar sog. Pazifisten die Verlegung russischer Trägerraketensysteme nach Königsberg, als hätte es die Pershings nie gegeben.