Interview mit Michail Chodorkowski:
http://www.nzz.ch/international/putin-hat-...acht-1.18438893ZITAT
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Viele in Russland sehen in Ihnen einen Profiteur der wilden Privatisierung.
Dass die Privatisierung damals fehlerhaft verlaufen ist, habe ich wiederholt gesagt, aber es war auch eine wirklich schwierige Situation, und es fehlte an Leuten, die unternehmerisch denken und Firmen sanieren konnten. Ich habe einen Vorschlag gemacht, wie man das Unrecht kompensieren könnte. Aber Putin wollte das nicht. Ich fragte mich lange, wieso nicht, und habe erst später begriffen, dass ihm dieses Unrechtsgefühl zupass kommt. Natürlich werde ich immer das Problem haben, dass die meisten Russen eine schlechte Meinung von den Reichen haben und bei der Privatisierung nicht erhielten, was ihnen zustand. In dieser Hinsicht werde ich immer einen wunden Punkt haben. Aber ich habe auch meine Vorzüge. Verschärft sich die Krise in Russland, werden die Leute nicht darauf schauen, was man war, sondern, was man kann. Letzteres habe ich als Unternehmer bewiesen.
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Hoffen Sie auf eine baldige Rückkehr nach Russland?
Ich sehe eine Chance von fünfzig Prozent, dass das jetzige Regime in den nächsten zehn Jahren zu existieren aufhört. Dann könnte ich heimkehren. Aber ich sehe nicht, wie dieser Wechsel auf demokratischem, sanftem Weg geschehen könnte. Wir kennen das spanische Modell, als König Juan Carlos nach dem Ende der Diktatur als Garant des Übergangs auftreten konnte. In Russland ist keine solche Kraft in Sicht. Putin beraubte sich der Möglichkeit eines guten Ausgangs, als er sich 2011 zur Rückkehr auf seinen Posten entschied. Falls er jemanden zu seinem Nachfolger bestimmt, werden sich alle an das Schicksal Medwedews erinnern und nicht glauben, dass der neue Präsident wirklich die Macht hat. Putin hat sich selber in eine Sackgasse gebracht: Sein Nachfolger kann nur dann der reale Machthaber sein, wenn er Putin zerstört, physisch oder politisch.
Erwarten Sie somit ein blutiges Ende des Putin-Regimes?
Mehr oder weniger. Es kann sein, dass Putin bis an sein Lebensende regiert oder es eine Palastrevolte gibt. Das Schlimmste wäre, wenn der Kampf auch die Strasse erreicht. Aber ein demokratisches Modell, in dem Putin die Macht einem demokratisch gewählten Nachfolger übergibt, sehe ich nicht.
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Worin sehen Sie Ihre Rolle? Sie haben einmal erklärt, Sie könnten als «Krisen-Präsident» dienen. Was heisst das?
Russland steht vor zwei Aufgaben. Erstens müssen die verfassungsrechtlichen Spielregeln geändert werden. In unserem System liegt alle Macht beim Präsidenten und beim Zentralstaat. Das zu ändern, wird auf demokratischem Weg nicht gelingen, es braucht «revolutionäre» Massnahmen. Die zweite Aufgabe besteht darin, danach zu normaler, demokratischer Politik überzugehen. Es kann nicht beides von derselben Person erledigt werden. Es braucht eine Übergangsregierung und dann eine, die aus freien Wahlen hervorgeht. Die erste Aufgabe traue ich mir zu, denn ich bin ein Krisenmanager.
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Sie sehen Russlands Zukunft in der Hinwendung zu Europa. Aber ist das realistisch angesichts der Popularität von Putins antiwestlichem Kurs?
Russland ist und bleibt ein Teil Europas. Bei allem Interesse gegenüber China sind wir keine Chinesen. Selbst die Slawophilen verneinen den europäischen Weg Russlands nicht. Natürlich hat Europa verschiedene Regionen mit eigener Kultur, aber alle sind Teil Europas. Was die Popularität von Putins Kurs betrifft, so muss man zwischen Nationalismus und Nationalchauvinismus unterscheiden. Anders als in Westeuropa ist in Russland die Etappe der Schaffung eines Nationalstaats noch nicht abgeschlossen. Mein Vorwurf an Putin ist nicht, dass er eine «russische Welt» schaffen will, sondern, dass er mit seinem Handeln diese Welt zerstört.
Sie meinen den Konflikt mit der Ukraine?
Ja, für uns sind die Ukrainer Verwandte im eigentlichen Sinne. Sieht man von der Westukraine ab, gibt es dort lauter gemischte russisch-ukrainische Familien. Russland und die Ukraine dürfen nicht getrennt sein. Die Vereinigung ist eine Frage der Form. Es geht nicht um territoriale Eingliederung. Ich sehe die Lösung in der gemeinsamen Integration in Europa, in einem Europa ohne Grenzen. Länder, die Grenzen hochziehen, verlieren; jene, die sie schrittweise abbauen, gewinnen. Russland muss letzteren Weg beschreiten, aber Putin tut das Gegenteil. Er nimmt anderen mit kriegerischen Mitteln Gebietsstücke weg, obwohl wir diese gar nicht brauchen.
Macht der Westen auch Fehler?
Der Westen zeigte seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegenüber Russland zu wenig Höflichkeit. Es war ein Fehler, dass sich die Nato nicht mit Russland einigte und der Westen bei der Transformation zu wenig geholfen hat. Nun wiederholt sich dies in der Ukraine. Der Westen müsste jetzt unbedingt einen echten Marshall-Plan für die Ukraine initiieren.
Was halten Sie von den Sanktionen?
Es wäre ein Riesenfehler, sie als Sanktionen gegen Russland darzustellen. Die Idee, ein Volk zu bestrafen und seine Lebensumstände zu verschlechtern, damit es dann seine Führung auswechselt, ist falsch. Sanktionen wirken nur kurze Zeit. Zudem gilt es, einen Gegensatz zwischen Russland und dem Westen zu verhindern. Richtig sind aber Sanktionen gegen konkrete Personen, die ihr Volk beraubt haben und ihre Korruption mit Militäraktionen vertuschen wollen. Das passiert aber nicht. 114 Namen auf der Sanktionsliste, das ist ein Witz, das ist viel zu wenig. Jene Russen, die ihr Leben dafür einsetzen, dass ihr Land einen europäischen Weg einschlägt, wollen vom Westen vor allem eines: Seid uns ein Beispiel! Unabhängige Gerichte, unbestechliche Beamte, Achtung der Menschenrechte – aber lasst euch nicht kaufen! Zeigt uns, woran wir uns ein Beispiel nehmen können.