ZITAT(Forodir @ 18. Aug 2022, 14:58)
Es wird aufgrund des mangels an operativen Verbänden nicht möglich sein tief in das Hinterland zu stoßen, aber ein klein-klein auf taktischer Ebene ist durchaus möglich und da spielt der Ukraine in die Hände das sie durchaus die Manpower haben um viele kleine taktische Erfolge zu ermöglichen. Voraussetzung dafür ist, dass sie die russischen weitreichenden Waffensysteme immer mehr abnutzen und sie weiterhin mit Munition (und am besten mehr schweres Gerät) aus dem Westen versorgt werden.
Für die russische Armee sieht es viel ungünstiger aus, sie können ihre Verluste kaum ersetzten und verlieren ihre materielle Überlegenheit bis zu dem Punkt, an dem sie sich nicht mehr verschieben, können (vorausgesetzt sie mobilisieren nicht).
Auf längere Sicht könnte die Ukraine so also auch mit kleineren taktischen Erfolgen durchaus eine Front aufbrechen, das ist nicht elegant, aber funktioniert.
ZITAT(SailorGN @ 18. Aug 2022, 16:40)
Die Mechanisierung und Verlass auf Panzer ist eine, die Stosstruppentaktik eine andere. Beide haben ihren "Reiz" und ihre Nachteile, weshalb sich die Situation so darstellt wie sie ist: Der Panzerfokus fällt für die Ukraine aus, da sie anscheinend nicht den Panzerschwerpunkt bilden kann, den sie für nötig hält. Dies liegt entweder an der Zahl oder Qualität der verfügbaren Panzerfahrzeuge... [...] Die Stosstrupptaktik hat in jedem Fall höhere Verluste, weil sie auf "reiner" Infanterie beruht... dies kann die Ukraine und mit der bisher bewiesenen Initiative und Motivation auf unteren taktischen Ebenen ist diese Option in meinen Augen nicht nur möglich, sondern erfolgversprechend. Darüber hinaus ermöglichen westliche Lieferungen von "handheld-Waffen" gegen Panzer und Flieger die Durchsetzung gegenüber Panzern und Co. allerdings ist auch diese Option mit garantierten Verlusten verbunden...
Ich halte das, was im Englischen als "Infiltration Tactics" bekannt ist*, ebenfalls für die erfolgsversprechende Variante sofern es den ukrainischen Streitkräften gelingt, die russische Artillerie zu zerschlagen bzw. zeitlich und räumlich begrenzt niederzuhalten. Angesichts der erfolgreichen Bekämpfung der russischen Munitions- und Treibstofflager, von Gefechtsständen und - vermutlich, aber weniger spektulär und deshalb nicht in den Medien - den russischen Streitkräften, insbesondere den Reserven, westlich des Dnepr in ihren Bereitstellungs-/Verfügungsräumen sehe ich die ukrainischen Streitkräfte auf einem guten Weg
Ein weiteres gutes Beispiel ist der ägyptische Ansatz zu Beginn des Jom Kippur-Kriegs, als die ägyptischen Streitkräfte primär Artillerie gegen die israelischen Streitkräfte in der Bar Lev-Linie und Infanterie, die großzügig mit Panzerabwehrwaffen ausgerüstet war, einsetzte. In Verbindung mit der ägyptischen Flugabwehr errichtete die ägyptische Infanterie einen Brückenkopf auf dem Sinai und zerschlug erfolgreich die Gegenangriffe der israelischen Streitkräfte- die, wie russischen Streitkräfte auch, ohne ausreichend Infanterie angriffen.
*Die deutsche Bezeichnung "Stoßtrupptaktik" bzw. "Stoßtruppverfahren" ist aus meiner Sicht nicht gleichbedeutend mit "Infiltration Tactics" oder "Hutier's Tactics", weil die englischen Begriffe für das deutsche Verfahren des 1. Weltkriegs wesentlich mehr umfassen: Umgehen gut verteidigter feindlicher Stützpunkte durch die angreifenden Stoßtrupps, deren Niederkämpfen durch nachrückende reguläre Infanterie usw., teilweise auch neuartiger Artillerieeinsatz durch General Bruchmüller. Dagegen beziehen sich die deutschen Begriffe, insbesondere so wie sie in der Bundeswehr verwendet werden, immer nur auf den Stoßtrupp, dessen Kampfweise, Gliederung ("in Stoßtruppgliederung") usw. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es von deutscher Seite einen dezidierten Begriff á la "Infiltration Tactics" gab oder ob das so lief, wie mit "Blitzkrieg", der als Begriff in der Wehrmacht unbekannt war, weil das alles nichts neues war, sondern man lediglich den Bewegungskrieg, den man bis zum Stellungskrieg des 1. Weltkriegs geführt hatte, mit moderner Technik wieder führt, vulgo: "moderner Bewegungskrieg".