ZITAT(SailorGN @ 19. Aug 2017, 12:41)
Die Frage ist, wie verlässlich die Türkei als Partner für solche Arrangements auch für Syrien und den Iran ist.
Die Türkei sitzt nicht zuletzt deshalb zwischen den Stühlen, weil sie ihre Politik und Richtung regelmäßig wechselt. Mir bewusst. Aber ohne Verhandlung kein Frieden. Der gesprächstaugliche Teil der Rebellen wird durch die Türken derzeit am besten vertreten. Es liegt an den Türken eine erhebliche Zahl dieser Rebellen zu steuern, zivile Strukturen zu errichten oder diese auch mit Waffen zu versorgen. Daher können die Türken quasi so verlässlich sein wie sie immer wollen. Die Türkei ist rein geographisch, historisch, militärisch, wirtschaftlich und kulturell ein entscheidender Faktor in dem Spiel der Regionalmächte und damit werden sich die anderen Parteien arrangieren
müssen. Ein wenig Realismus täte allen Beteiligten dort ganz gut. Auch für die Türkei gilt umgekehrt das Gleiche, denn die sind auch nicht bei "Wünsch Dir was".
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Und ob selbst eine Teilautonomie der Kurden besonders für die Türkei akzeptabel ist. Im Irak scheint das ja zu klappen, solange sich Schiiten und Sunniten gegenseitig beharken. In Syrien könnten sie sogar ein stabilisierendes Element bieten (solange sie nicht massiv von den Türken bedroht werden).
Es ist einfach unrealistisch dieses Rad vollständig zurück zu drehen. Und wozu auch. Bei einer de Facto Teilautonomie der Kurden, wie sie aktuell besteht, sollte man daher im Interesse der Integrität der Staaten über Gemeinsamkeiten und föderale/kantonale Strukturen sprechen und nicht die Unterschiede hervorkehren und betonen. Das hilft keinem. Die Kurden können ja ohne ihre Nachbarn selbst auch gar nicht handeln und sich entwickeln, insofern können sie nicht in isoliert eigener Sache einfach mit dem Kopf durch die Wand rennen, sondern müssen mit ihren Nachbarn einen realistischen Interessensabgleich durchführen. Das ist doch wie im echten Leben.
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Die Situation der Kurden im Iran ist für mich ein großes Fragezeichen, genauso wie die Einstellung Teherans zu ihnen. Dort kracht es ja auch regelmäßig, somit stellt sich die Frage, inwiefern die Staaten der Region überhaupt Interesse an einer "Föderation kurdischer Autonomiegebiete" haben. Schließlich würde dies zu einer signifikanten Stärkung der Kurden auf quasi allen Gebieten bedeuten.
Es wäre vermessen die Ausgangslagen miteinander zu vergleichen, aber wenn man sich Nordirland, Baskenland, Katalunien, Ukraine ansieht dann können rumorende Autonomiebestrebungen immer mal wieder durch Ereignisse neu befeuert werden und aufflammen. Der PKK Ableger "PJAK" hat in der Vergangenheit nur in Form von Hit&Run Operationen aus dem Irak und der Türkei heraus gegen iranische Grenzposten Blutzoll gefordert. Aber für die Nachhaltigkeit solcher Aktivitäten fehlt schlicht das lokale Fundament. Dazu müssten erst ein ganze Reihe von Leuten angestachelt werden. Viel realer ist das Sicherheitsproblem, dass einige kurdische Schmuggler-Gilden seit Jahrhunderten quasi als Familienbetrieb alle möglichen verbotenen Waren in die eine wie die andere Richtung transportieren. Aber über die Konfliktpotentiale ist die Geschichte der Beziehungen aber für mich nicht erzählt. Kurden und Iraner haben in meinen Augen nämlich kein wirklich vorbelastetes Verhältnis zueinander.
Die Türken bauen ja eine laaaange Mauer entlang ihrer Landesgrenzen zu Syrien, Irak und Iran und zerschneiden damit gerade kurdischen Lebensraum und damit das mögliche Staatsgebiet eines Kurdenstaates. Für die Sicherheitsinteressen der türkischen Nachbarländer, einschließlich des Iran, ist das sicherlich nicht nachträglich. Machen wir uns doch nichts vor: Die Ablehnung gegenüber einer Entstehung eines eigenständigen Kurdischen Staates teilen alle unmittelbar betroffenen und benachbarten Staaten. Dann brennt der Baum komplett. Ohne den Kurden böses zu wollen oder ihnen ihre Eigenständigkeit und Identität nicht zu gönnen, so wäre der Impact eines neuen Staates auf die gesamte politische Struktur des mittleren Ostens erheblich. Schon bereits deshalb weil es den Irak und Syrien dann nicht mehr gibt und damit weitere Völker eine politische Heimat benötigen. Das Szenario ist daher nur in einem entsprechend größeren Kontext umsetzbar, bei dem die Kurden eine der insgesamt beteiligten Interessensträger darstellen. Ich denke, dass das langfristige Szenario hier noch nicht wirklich absehbar ist. Grundkonsens muss doch einfach sein, dass man die kurdische Sprache und Kultur nicht auslöschen darf und ihnen die repräsentative Mitsprache für ihre regionalen und staatlichen Belange erteilt. Das muss doch in jedem Land möglich sein.
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Diese wäre eine deutliche Bedrohung der Türken, welche ja nun wieder Repressionen fahren... für Syrien wäre es auch nicht so toll, weil es damit wieder eine Gruppe gäbe, die potentielle Konkurrenz für Assad bringt... oder zumindest einen Rückzugsort für Opposition bieten kann. Das bringt mich wieder zum Iran. Da steht es auf der Kippe, ein teilautonomes Kurdistan im Iran kann befrieden und Kräfte für andere Ambitionen freistellen, wobei jedoch bei Hardlinern diese Aufgabe von Souveränität sicher nicht gut ankommt. Mit Zugeständnissen könnte man sich in Teheran aber Wohlwollen des "Westens" erkaufen... auf Kosten der Türkei. Schwierig....
Für den Iran sehe ich eine kurdische Teilautonomie nicht als Problem. Zunächst gibt es kein vorrangiges Abgrenzungsmerkmal zwischen kurdischen Iranern und anderen Iranern. Anders ausgedrückt weichen Kurden im Iran nicht stärker von der Norm ab als andere Volksgruppen. Eine sympathische Gemeinsamkeit der iranischen Volksgruppen sind regionale Unterschiede. Der Iran ist ein gebirgiges Land, Dialekte und regionale Unterschiede sind inhärent existent. Im Gegensatz zu Türkisch oder Arabisch, wird die kurdische Sprache der Familie der Iranischen Sprachen zugeordnet. Man teilt zudem sehr spezifische Gemeinsamkeiten, wie etwa den vorislamischen Brauch aller iranischen Völker, im Frühling das Neujahrsfest "Nowrooz" zu feiern. Araber und Türken kennen dieses Fest und Datum für den Jahreswechsel nicht. Iranische Kurden sind mehrheitlich Schiiten. Es ist seit Jahrhunderten die politische Realität im Iran, "quasi schon immer so gewesen", einen multiethnischen Staat zu führen. Es gab diese oder jene Dynastien, aber der Staatsapparat und das regierte Volk hatte in der Regel immer eine vergleichsweise hohe multiethnische Komponente. Die unterschiedliche Folklore der Volksgruppen wird in den staatlichen Medien nicht versteckt, sondern sogar sehr umfangreich und positiv dargestellt. Nicht nur jene der Kurden sondern auch jene der dutzenden anderen Gruppen. Diese iranischen Kulturvarianten wurden bzw. werden nicht im Rahmen einer Kulturrevolution getötet und standardisiert. Zumindest scheinen die Regierenden der islamischen Republik sich damit abgefunden und arrangiert zu haben. Konsequenterweise wird die kurdische Sprache und Kulturgeschichte an iranischen Universitäten als Studienfach gelehrt. Es gibt Radio und Regionalfernsehen in kurdischer Sprache, usw., Das ist anderen Ländern durchaus ein Thema. Grundsätzlich existiert Landesweit eine kantonale und kommunale politische Verwaltung welche sich aus gewählten, örtlichen Beamten/Politikern zusammensetzt. Einer dieser Kantone heißt wörtlich "Kurdistan". Die lokalen Sicherheitskräfte (Basij, IRGC, Polizei, Kommune, etc) setzen sich aus lokalen Personen zusammen. Es besteht daher kein Grund sich mit einem Vorzeigebeamten einer weit entfernten persischen Zentralverwaltung rumzuschlagen. Wie sollte also eine Teilautonomie für die Kurden im Iran sonst anders aussehen? In welchen teilen und wieso sollte sich diese von anderen Regionen und Volksgruppen im Land unterscheiden?