Die von Glorfindel angesprochene Abschreckung hat ihren Ursprung in der Spieltheorie und hat in diesem Sinne theoretisch und praktisch dem gesamten Kalten Krieg zu Grunde gelegen. In sofern bestätigt der Ausgang des Kalten Krieges die Richtigkeit des theoretischen Ansatzes und seiner praktischen Umsetzung. So scheint es zumindest. Das Problem mit historischen Großereignissen ist aber, dass sie menschengemacht sind und ich meine das Doppelt: Zum einen sind alle Variablen nur einmalig vorhandene Elemente, die zu einem komplexen Ganzen, gemeinhin zu einem einzigen System kombiniert wurden. In diesem Sinne ist die Versuchsanordnung "Kalter Krieg" so nie wieder herstellbar, weil erstens alle Einzelkomponenten nicht wieder exakt so anzuordnen sind, und zweitens alle ähnlichen Elemente eine ähnlichen Versuchs um das erste Experiment "wissen" und ihre Handlungen davon beeinflusst werden. Wir sind ein gutes Beispiel dafür. Chemische Teilchen im Labor sind einander ähnlich genug, um Nachbauten eines Versuchsaufbaus zuzulassen. Glorfinde und wir Anderen haben mit unseren Vorgängern 1948 nichts mehr gemein. Wir können aus deren Existenz Schlüsse ziehen. Das verändert das Gesamtsystem. Die Spieltheorie ist auf Grund der Gesamtkomplexität damit eine der wenigen Großtheorien, die Prognosen zulässt. Es muss aber beachtet werden, dass historische Ereignisse, denen Bedeutung von Akteuren im System beigemessen werden, ähnliche Prozesse verändern.
Das bringt uns zur doppelten Deutung von "menschengemacht". Wem oder was wir als bedeutend bezeichnen, beeinflusst unsere Handlungen. Vorausgehende Ereignisse und Personen sind werden von uns mit Sinninhalten gefüllt. Wir in Europa haben einen ganz anderen Bezug zur Situation auf Korea als die nordkoreanische Führungselite. Und bei denen, die am Knopf sitzen geht es nun darum, wie sie glauben, dass die USA agieren und reagieren werden. Nur wenn man denkt, dass die USA oder Südkorea wirklich angreifen wollen, macht (spiel)theoretisch und praktisch der Einsatz einer Atomwaffe Sinn. In allen anderen Kontexten, z.B. internen Machtkämpfen, ist ihr Einsatz widersinnig. Er zöge weitere Spieler hinzu, schüfe neue Spielfelder und minderte letzten Endes die Zahl der Atombomben in allen Kriegsszenarien.
Andererseits fußte das Spiel des Kalten Krieges (http://www.uwenowak.de/arbeiten/gefangenendilemma.xhtml) auf zwei Pfeilern: Man musste die Parität beibehalten und rüstete daher weiter auf, immer dann, wenn der Gegner aufrüstete oder man glaubte, er würde es bald tun. Historische Untersuchungen in russischen Archiven nach 1991 haben aber belegt, dass die Vermutungen des Westens, die UdSSR sei auf Krieg und Aufrüstung aus, in mehreren Fällen falsch war. Die Aufrüstung und Gefährdung war also nur scheinbar begründet. Die Spieltheorie nennt dieses Szenario "Gefangenenszenario" (siehe Link). Das Problem zweier gefangener Bankräuber nicht zu wissen, ob der andere mit der Polizei kooperieren wird und einen verrät, lässt sich vierfach durchspielen. Räuber Sam und Bob reden beide, sie erhalten dann beide Strafminderung, werden aber voll verurteilt (Spiel A). Einer redet und kommt frei, der andere redet nicht und kriegt die volle Strafe (Spiel B, bzw. C). Keiner redet und sie werden nur für illegalen Waffenbesitz gering bestraft (Spiel D).
Im Kalten Krieg drückte keiner auf den Knopf, man kam mit einer hohen Rechnung davon. Das ist Spiel D und gut für uns. Denn Spiel B oder C hätten eine Seite komplett vernichtet durch Erstschlag ohne Gegenschlagsoption. Ziel der Supermächte war es nun also die Unspielbarkeit von B/C herzustellen, indem ein Erstschlag immer zu Spiel A, einer gegenseitigen gesicherten Zerstörung (mutually assured destruction, MAD), hätte führen können, in der nur ein Abbruch des Austausches nach Erstschlag und Gegenschlag zu Situation A geführt hätte, aber immerhin.
Kann man das nun auf Nordkorea und die USA anwenden? Generell ja, aber im Speziellen nein. Wichtigster Faktor für die Schaffung der Möglichkeit Spiel A immer spielen zu können, ist Parität herzustellen und das heißt im System zu kommunizieren. Sam und Bob müssen miteinander reden, so wie in Kuba oder auf Island. Man muss sich gegenseitig vertrauen (lernen). Denn Parität herzustellen allein durch Spionage, also Motive ausspähen, führt nur zu einem neuen Wettrüsten der Spione. Das Spiel verlagert sich vom Hundertsten ins Tausendste. Echte, planbare Parität (und nicht zufällige) erreicht man, indem Sam und Bob miteinander reden. Die Polizei weiß das freilich zu verhindern, denn wenn Sam und Bob miteinander reden können, ist es nicht nötig, das sie ausmachen beide mit der Polizei zu kooperieren, um sich gegenseitig zu vernichten. Dann können sie einandern (wieder) vertrauen lernen, schweigen und frei bleiben.
Wir spielen das Spiel immer und in jedem Fall. Aber nur, wenn das System kommuniziert (s. Luhmann) ist sicherstellbar, dass Spiel D gespielt werden wird. In den USA ist das eine Lehre des Kalten Krieges gewesen. Seit dessen Ende ist "D" wie Dialog zentraler Bestandteil der internationalen (spieltheoretischen) Diplomatie. Es steht nur zu befürchten, dass Nordkorea ein anderes Spiel spielt oder die Regeln nicht kennt. Das könnte daran liegen, dass die Führungselite aus dem Kalten Krieg unterschiedliche, uneinheitliche Schlüsse zieht und daher der Exekutive die Option Diplomatie verwehrt bleibt oder geschlossen ein anderes Spiel als D spielen will. Zum Beispiel, weil sie im Gegensatz zu Gorbatschow im Falle von D um iher individuellen Leben fürchten muss.
Das ist möglichweise das Schicksal der übriggebliebenen kleineren Spieler des Kalten Krieges. Spiel D endete dort in der Variante, dass einer der Spieler in mehrere neue Spieler zerfiel. Während Russland sich berappelt, bleiben weniger mächtigere Teilspieler übrig. Die ungleiche Kommunikation im neuen Spiel Siegerblock Spiel 1 (Sam) gegen Teilspieler des Besiegtenblocks (Bob) mach Sam und Bob in Spiel 2 zu ungleichen Spielern. Das wiederum macht einen Ausgang wie in Nürnberg für die Nazi-Führungselite für die nordkoreanischen Eliten nach einer Wiedervereinigung persönlich wahrscheinlich und verändert die Spielregeln von Spiel 2 gegenüber Spiel 1. Wenn Kim Yong Un fürchten muss, dass Spiel D
2 persönlich für ihn zu einem Spiel B
3/C
3 führen muss, in dem er alles verliert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er D
2 spielen wird extrem niedrig. Er bewegt sich damit nämlich bewusst auf der menschlichen Bedürfnispyramide (
Link) nach Maslow hinunter. Und ermuss alle Personen um sich herum dazu zwingen das ebenfalls zu tun. Das ist nicht nur extrem unwahrscheinlich, sondern führt mit ziemlicher Sicherheit zu einem innernordkoreanischen Spiel, in dem die Mitspieler nicht miteinander kommunizieren und sich nicht vertrauen. Das macht Spiel A
NK (eine Variante der gegenseitigen gesicherten Zerstörung innerhalb der nordkoreanischen Elite) zum wahrscheinlicheren Spiel als D
NK. Da jeder Sieger aus B
NK/C
NK automatisch wieder ein persönliches B
3/C
3 fürchten muss, in dem er bei einer Wiedervereinigung Koreas haftbar gemacht wird, kann Spiel 2 (die Korea-Wiedervereinigung) nur als D
2 (friedlicher Ausgang) gespielt werden, wenn die nordkoreanische Führung der westlichen Führung vertrauen kann, dass sie straffrei bleiben wird und einen Abgang nehmen darf wie Gorbatschow, statt wie Ceaușescu oder die Nazi-Elite.
Der Westen muss also seinen eigenen Drang nach einem Menschenrechts-Gerichtshof für ein vereinigtes Korea glaubhaft aufgeben und ausreichend viele Spieler möglicher innernordkoreanischer Spiele davon überzeugen, dass sie unbestraft bleiben werden. Diese massive Vertrauensbasis aufzubauen wird Zeit brauchen und ein heikles Spiel sein, denn man darf den Nordkoreanern nicht als schwach erscheinen oder zu hart drücken. Seit dem Ende von Spiel 1, dem Kalten Krieg, spielen wir das Spiel mit Nordkorea und Kuba. Kuba konnte sich durch Allianzen mit Chavez etc. selbst mehr Macht verleihen und spielt auch ein anderes, weil nicht-nukleares Spiel. Nordkorea spielt das Spiel der UdSSR mit einem ähnlichen Zerstörungspotential gegen unsere Weltwirtschaft, aber mit der Fragilität Kubas. So dumm das klingt, aber damit haben sie uns an den Eiern. Wir können dieses Spiel nur reaktiv spielen und müssen die einzelnen Spieler der innernordkoreanischen Spiele geschlossen überzeugen. Das heißt aber letztlich, wir sind in deren internen Spielen die Polizei und in Spiel 2 einer der Spieler. Dieser Rollenwechsel wirkt dem zu bildenden Vertrauen entgegen und erschwert beide Spiele(benen).
Ich hab keine Lösung, aber ich bewundere das Problem.