Was lange dauerte, kommt jetzt:
ZITAT(Sensei @ 11. Apr 2023, 22:46)
@Freestyler: Ich verstehe es auch nicht. Deswegen konkret nachgefragt:
ZITAT
Wenn die nächste ukrainische Gegenoffensive scheitert, wird sie nicht am Gerät scheitern, sondern eher an der mangelnden, wenn überhaupt vorhandenen Ausbildung der Offiziere und Unteroffiziere.
Wie kommst du zu dieser Aussage/Einschätzung?
Wo kommt deine überzeugte Meinung her, dass die Defizite in der Offiziersausbildung gerade so viel schwerer wiegen als fehlendes Material und Kriegsgerät?
Hast du hier Quellen und Erfahrungen, auf die du uns verweisen kannst?
Laut Kofman ist der Krieg mittlerweile ein "Krieg der mobilisierten [d.h. einberufenen Reservisten, eingezogenen Wehrpflichtigen und Freiwilligen] und Reserveoffiziere", von denen letztere laut Kofman nach (post-) sowjetischen Prinzipien ausgebildet wurden. Das (post-) sowjetische System kennt weder eine aktive, mehr oder weniger regelmäßig übende Reserve noch Reserveoffiziere im Sinne von ehemaligen Offizieren auf Zeit, die z.B. 12 Jahre als aktive Offiziere dienten, oder ehemaligen Wehrdienstleistenden, die in Wehrübungen zu Reserveoffizieren ausgebildet wurden. Die Offiziere der sowjetischen Divisionen, die mit eingeberufenen Reservisten mobilgemacht worden wären, waren zum Großteil aktive Offiziere, keine Reserveoffiziere, und bildeten im Frieden das Kaderpersonal dieser Divisionen - deshalb waren die sowjetischen Streitkräfte und auch die russischen Streitkräfte bis zu den Reformen in den 1990ern und 2000ern so offizierslastig. Reserveoffiziere in Russland - und ziemlich sich auch in der Ukraine - sind daher entweder (früh-) pensionierte Berufsoffiziere, die bei Reformen oder bei Erreichen der Altersgrenzen pensioniert wurden, oder Studenten, die zwar keinen Wehrdienst leisten mussten, im Rahmen ihres Studiums aber irgendwelche Kurse besuchen mussten, die sie zu Leutnanten der Reserve qualifizierten.
Die Mehrheit der Offiziere ist jetzt also entweder aufgrund "Leistung" befördert worden (aber ohne tiefergehende Qualifikation) oder aber hat Jahr(zehnt)e nichts mehr mit den Streitkräften zu tun gehabt und verharrt in einem (post-) sowjetischen System. Es kann natürlich sein (und es ist zu hoffen), dass die ukrainischen Streitkräfte es schaffen, die neuen Offiziere angemessen zu qualifizieren und die alten Reserveoffiziere weiterzuqualifizieren, aber die Zeit und die Ausbildungskapazitäten müssen vorhanden sein. Offiziere für ein bis zwei Monate aus ihrer Funktion herauszulösen, ist im Frieden einfach, im Krieg ist die Kompanie oder der Zug damit ein bis zwei Monate führerlos, insbesondere wenn es kein starkes Unteroffizierskorps gibt, die zumindest als Zugführer eingesetzt werden können. Ein starkes Unteroffizierskorps nach Vorbild westlicher Streitkräfte gab es in den post-2014 Streitkräften nur in Ansätzen, in den alten ukrainischen Streitkräften gar nicht.
Wobei die Ausbildung der Unteroffiziere weniger ein Problem ist -
die Azov-Brigade der ukrainischen Nationalgarde führte vor kurzem einen einmonatigen Unteroffizierslehrgang durch und in einem Monat lässt sich eine ganze Menge Taktik auf Gruppenebene vermitteln. Das Problem ist eher, dass die ukrainsichen Streitkräfte bisher kein Unteroffiziere im westlichen Sinne hatten und die Reserveoffiziere, die jetzt offenbar die Mehrheit der Offiziere stellen, auf eine Weise ausgebildet wurden, die keine Unteroffiziere und auch kein selbstständiges Handeln kannte.
ZITAT(Sensei @ 15. Apr 2023, 17:48)
Kommt es bei der Führbarkeit nicht auch stark auf den Auftrag an?
Wenn die Battalione, übertrieben gesagt, 'nur' zum Stellung halten in die Schützengräben der Front geschickt werden, dürfte sich die Führungslast deutlich reduzieren.
Ja, definitiv. Dazu kommt ja noch, dass Streitkräfte, die sich an den sowjetischen bzw. russischen Streitkräften orientieren, sehr kleine Stäbe haben, d.h. die können eigenständig keine komplexen Operationen planen und führen, weil das Personal fehlt, um die Informationen zu sammeln und auszuwerten und in Einzelbefehle für die unterstellten Truppenteile umzusetzen. Deshalb verteidigen derartige Streitkräfte oft statisch und nicht dynamisch. Und wenn das Panzerabwehrbataillon, das bei den ukrainischen Streitkräften in die Brigadeartilleriegruppe eingegliedert ist, im rückwärtigen Raum oder in der Flanke eine Auffangstellung bezieht, aus der es durchgebrochene Feindpanzer bekämpfen soll, braucht es auch keinen großen Stab, weil es nur reagieren muss.
Ein gutes Beispiel ist die russische Artillerie: Der Batteriechef ist gleichzeitig Artilleriebeobachter, was in westlichen Streitkräften aufgrund der Komplexität immer zwei unterschiedliche Personen sind (und in der Vergangenheit mehr VBs/ABs pro Kompanie?)
Sobald die Lage aber einen dynamischen Operationsansatz erfordert und die üblichen Friktionen des Krieges auftreten, muss ein Stab ausreichend groß sein, um nicht nur reagieren zu können, sondern auch zu agieren.